Frauen in Rot

„Women in Red“ ist ein Schreibprojekt innerhalb der Wikipedia, das sich zum Ziel erklärt hat, (bemerkenswerte) Frauen durch Einträge sichtbarer zu machen und gleichzeitig den Anteil der weiblichen Beitragenden zu erhöhen. Symbolisch sollen „red links“ (Wikipedia-Links, hinter denen noch kein Artikel steckt) in „blue links“ umgewandelt werden. Dafür werden immer wieder Schreibaktionen – „Edit-a-thons“ – in Städten rund um die Welt durchgeführt, um Beitragende auszubilden. Ein Beispiel ist der Art+Feminism Edit-a-thon, der jährlich am 8. März stattfindet, um Beiträge über Frauen in der Kunst hinzuzufügen.

Das Projekt existiert bisher in 32 Sprachen. Der deutschsprachige Teil der „Women in Red“ fokussiert auf die Erstellung von deutschsprachigen Biographien, die schon in anderen Sprachen verfügbar sind.

Bisher können in der Wikipedia (Abruf am 24.08.2024) 170.463 weibliche Biografien (17,93 %), gegenüber 780.165 männlichen (82,0 %) gelesen werden.

Wie ist die Lage bei den Systemikerinnen? Lasst uns in den Kommentaren wissen, welche Systemikerinnen ihr schon gesucht und in der Wikipedia nicht gefunden habt. Vielleicht habt ihr auch Lust, im Sinne der „Women in Red“ einen Beitrag über genau diese bemerkenswerten Frauen zu schreiben.

Was hat die Systemische (Psycho-) Therapie zu bieten?

Ich bin nun schon das zweite Mal bei den Lindauer Psychotherapiewochen (eine traditionell psychodynamisch orientierte Tagung) gewesen und meine schon jetzt einen Unterschied zwischen diesem und letztem Jahr zu bemerken.

2023 war ich beim „Novizentreffen“ für Menschen, die das erste Mal in Lindau sind. Eine Kollegin meldete den vertretenen Veranstalter*innen zurück, dass unter den Hauptvorträgen auffallend wenig Frauen seien und stellte die Frage nach einer moderneren Besetzung. Es gab daraufhin bestätigende Rückmeldungen, aber auch die uns leider bekannten Argumentationslinien.

Positiv überrascht, konnte ich mich dieses Jahr in meinem gewählten Vortragsstrang auf eine diverse Zusammenstellung von Referent*innen freuen. Ein angenehmer Bonus war außerdem, die politische Komponente, die in vielen Vorträgen offen zur Sprache gebracht oder Teil des Themas war. Nichts mit therapeutischer Abstinenz, sondern es wurde zu einer Positionierung eingeladen bzw. sich deutlich positioniert.

Um eine Beispiele zu nennen:

Katharina van Bronswijk sprach zu psychologischen Implikationen des Klimawandels.

Amma Yeboah lud uns ein, uns mit Rassismus und Critical Whiteness in der Therapie auseinanderzusetzen.

Eran Rolnik wurde aus Tel Aviv zugeschaltet und sprach zur ganz unmittelbaren Einflussnahme des Krieges auf den therapeutischen Gestaltungsraum.

Heide Glaesmer referierte zu Unrechterfahrungen in der DDR am Beispiel der Heimerziehung.

Martin Schenk stellte am Beispiel des Bildes von „Brot und Rosen“ den möglichen Einfluss von Armutserfahrungen in der Kindheit auf die psychische Gesundheit aus.

Besonders berührten mich die Vorträge von Nasim Ghaffari und Hadiye Kücükkaragöz, die Unrechtserfahrungen im Iran und in der Türkei lebhaft und ganz konkret mit in den Tagungsraum brachten.

In den meisten dieser Vorträge wurde direkt oder subtil die Machtfrage gestellt und deutliche Unterschiede zwischen den Mächtigen und Ohnmächtigen gezeichnet. Immer wieder waren auch wir als Zuhörer*innen aufgefordert eigene Ressentiments und Positionierungen, die wir mit in die Therapie bringen, zu hinterfragen. Auffällig schien mir die teilweise konkret ausgesprochene Einladung der Referent*innen über den Tellerrand der intrapsychischen Dynamik hinauszuschauen und (gesellschaftliche) strukturelle Bedingungen als Akteur*innen in der Therapie Beachtung zu schenken.

Steckt da nicht eine systemische Grundhaltung drin?

Wir als systemisch Arbeitende wollen uns nicht nur mit den Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen unserer Klient*innen beschäftigen, sondern vor allem auch wie diese in Wechselwirkung mit allen möglichen Kontexten bzw. Umwelten stehen, in denen sich diese Person bewegt.

Als Neuling unter den sozialrechtlich anerkannten Psychotherapieverfahren könnte die systemische Therapie hier einen wesentlichen Beitrag zur Theoriebildung und Praxis leisten sowie (auch aus einer Machtperspektive) mehr Raum im psychotherapeutischen Feld einnehmen.

Eine Voraussetzung dafür ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Vorstellung von systemischer Therapie als politikfreien Raum. Im Austausch mit Fachkolleg*innen entsteht bisweilen der Eindruck, dass wir unsere systemische Arbeit außerhalb gesellschaftlicher Strukturen sowie deren Machtdynamiken verorten und diese unabhängig davon stattfindet. Das ist ein Trugschluss!

Wir sollten uns mit unserem eigenen Eingebundensein in Gesellschaft und Politik und das Eingebundensein unser Klient*innen auseinandersetzen. Neben der Erweiterung unseres Wirklichkeits- und Möglichkeitsraums in der therapeutischen Arbeit erscheint mir gerade die systemische Therapie dafür geeignet, die Machtfrage theoretisch fundiert in die Psychotherapie einzuführen.

In der systemische Fachliteratur werden dazu schon spannende Ideen diskutiert, siehe z.B.:

Martina Masurek: Die Idee der Gleichgültigkeit im systemischen Arbeiten (systeme, 2023)

Ilja Gold und Jessi Mmari: Macht- und Rassismuskritik als Querschnittsaufgabe für die systemische Praxis (Familiendynamik, 2024)

Marlen Gnerlich und Anne Gemeinhardt: Soziale Unterschiede, die einen Unterschied machen Zur Bedeutung von Klassismus in systemischen Beratungskontexten (systeme, 2021)

Anstrengend sein

In meiner therapeutischen Arbeit spreche ich mit meinen Klient*innen oft über Wut. In den Gesprächen mit Frauen geht es meistens darum, diese Emotion überhaupt anzuerkennen und in das Selbstbild zu integrieren. Oft wird Wut negativ bewertet, als unangenehm markiert. Andere könnten mit Abgrenzung und Abwertung reagieren, deswegen wird der Ärger eher unterdrückt oder geschluckt, anstatt ihn als Hinweis für die eigenen Grenzen zu interpretieren.

Dabei kann weibliche Wut aus Unterdrückung, Ungerechtigkeit oder Diskriminierung resultieren und hat die Kraft, diese Strukturen aufzubrechen und zu verändern. Gleichzeitig oder gerade deswegen gelten wütende Frauen als abstoßend, dramatisch, nicht weiblich und verrückt. Wütende Frauen sind hässliche Frauen. Wütende Frauen werden als weniger kompetent eingeschätzt.

Auch ich habe sowohl in privaten als auch beruflichen Beziehungen die Erfahrung gemacht, dass mein geäußerter Ärger, z.B. nur in Form einer kritischen Rückmeldung, in manchen Kontexten bagatellisiert, lächerlich gemacht, pathologisiert bzw. mir meine Wahrnehmung abgesprochen wird. Dabei scheinen die Strategien einem bestimmten Muster zu folgen. Angesprochene Personen fokussieren auf die Emotion, die transportiert wird, und gehen nicht auf inhaltliche Komponenten ein. Gleichzeitig wird der Vorwurf zurückgegeben, dass der gewählte Ton nicht angemessen sei. Damit tauschen sich plötzlich die Rollen zwischen der kritisierenden und kritisierten Person. Das verwirrt und macht zunächst sprachlos. Bleibe ich dann mit meiner inhaltlichen Position hartnäckig, gelte ich schnell als anstrengend und erschöpfend.

Und wieder drängt sich die kollektive Erfahrung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen auf, die sich einfach nur in andere Worte als noch vor 100 Jahren kleidet. Wir sind eben nicht mehr hysterisch, sondern zu emotional und anstrengend. Ein klassisches Ablenkungsmanöver von berechtigter Kritik.

Auch oder gerade im systemischen Kontext mache ich diese Erfahrung. Unmut zu äußern scheint an sich schon verpönt, nicht Ressourcen- und Lösungsorientiert genug. Kritik trifft auf Rechtfertigungen und vermeintlich neutrale Äußerungen, die sich letztlich doch als Positionierungen lesen lassen. Nämlich für einen Status quo, der von strukturell verankerter Ignoranz von bestimmten Stimmen profitiert.

Aus systemischer Perspektive könnte ich mich nun fragen, worum geht es eigentlich? Was steckt hinter den Positionen, die schnell sehr vehement vertreten werden? Ein als besonders stark interpretierter Gefühlsausdruck, deutliche, wütende Worte können möglicherweise Ausdruck für eine ganze Kette von Unterdrückungserfahrungen stehen, die sich in diesem Moment entladen. Vielleicht wurde vorher schon so viel nicht gehört, dass die einzige Option ein Aufstampfen und Aufschreien zu sein scheint.

Und wozu könnte die Bagatellisierung und Rollenumkehr dienen? Machterhalt wäre meine Hypothese. Denn: Ist Macht das, was Frauen wollen? […] Die Frage […] lässt zudem den Gedanken aufkommen, dass die Untergebenen sich ebenfalls nach Macht sehnen könnten, und das löst damit bei Männern Angst und Bestürzung und bei Frauen Angst und Verlegenheit aus.“ (T.J. Goodrich)

In einem solchen Ringen um Gestaltungsfreiraum und Deutungshoheit lässt es sich schön festbeißen und abarbeiten. Denn wie in Goodrichs Zitat werden bei allen Beteiligten verschiedene verinnerlichte Muster (sexistische wie natürlich auch anderer biografisch und kontextbezogene Wechselwirkungen) mit dazugehörigen Gefühlen und Abwehr aktiviert. Das strengt an und bei fehlender Reflexion dieser Mechanismen aller Beteiligten, ist der Weg zu einer konstruktiven Betrachtung zunächst versperrt.

Wie navigiere ich also am besten in dieser Gemengelage? Ich denke es ist wichtig, Positionen klar zu vertreten, hartnäckig und unbequem zu sein. Doch wenn ich merke, dass sich ein Teil von mir dazu eingeladen fühlt, in dieser (natürlich zirkulär funktionierenden) Dynamik in die Rolle zu rutschen, die mir zugeschrieben wird, trete ich einen Schritt zurück.
Ich distanziere mich also, beobachte den Prozess und wäge die Optionen ab. Wenn ich mit dem gleichen nicht weitergekommen bin, dann sollte ich im systemischen Sinne etwas anderes probieren. Für mich heißt das manchmal, an anderer Stelle weiterzumachen, die mir beweglicher erscheint. Manchmal heißt es für mich auch, klare Konsequenzen zu ziehen und die Beziehungen auf andere Weise zu gestalten.
Denn auch wenn ich kein Gehör finde, muss ich mich nicht mit dem Status quo zufriedengeben und die Gewalt, die darin steckt, akzeptieren. Ich erlaube mir, meine Grenzen zu setzen und versuche darauf zu pfeifen, dass mich mein Gegenüber für anstrengend und schwierig hält.

Inspiriert auch durch: https://www.emotion.de/leben-arbeit/weibliche-wut

„Wir sind keine Richter*innen“ – Das Ringen um Differenzierung in der Debatte um rituelle Gewalt

Mit einem Spiegel-Artikel und Jan Böhmermanns Show zu ritueller Gewalt wurde ich und mein therapeutischer Umkreis ziemlich aufgewühlt. Immer mal wieder wird die Existenz organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt sowie deren Folgen angezweifelt. Weiterhin werden die Berichte darüber teilweise mit (antisemitischen) Verschwörungsideologien vermischt und nicht eindeutig davon abgegrenzt. In diesem Kontext wird außerdem der psychotherapeutischen Berufsgruppe unterstellt, die Fähigkeit zu besitzen durch suggestive Techniken und Grenzüberschreitungen, Erinnerungen an schwere Gewalterfahrungen einpflanzen zu können. Was mir vor allem Sorge bereitet: Es schleicht sich scheinbar dadurch bei mir und meinen Kolleg*innen eine Furcht ein, Hypothesen zu möglicherweise traumatischem Erleben aufzustellen und beschriebene Gewalt als eben diese zu benennen.

Ein paar Wochen lang beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema, diskutierte bisweilen hitzig mit Kolleg*innen und begann an meinen bisherigen Überzeugungen zu zweifeln. Gleichzeitig fiel mir auch hier wie in anderen Debatten auf, dass es mir schwer zu fallen scheint, Grautöne / Ambiguitäten / Widersprüche auszuhalten. Es gilt vermeintlich eine Seite zu wählen und dann möglichst alle Widersprüche zu neutralisieren. Doch so funktioniert unsere Welt und vor allem unsere therapeutische Arbeit nicht. Nach Wochen des starken inneren Seegangs sowie etwas zeitlichem Abstand kehrte ich wiederum zu bestimmten Überlegungen angereichert mit Grautönen zurück:

Unser therapeutischer Raum ist kein Gerichtssaal und wir sind keine Richter*innen. Wir knüpfen an den Geschichten an, die uns unsere Klient*innen berichten möchten. Menschen und Situationen sind komplex und es gibt keine „perfekten Opfer“, sondern immer eine Dynamik (die sich möglicherweise auch in der Arbeitsbeziehung zeigt und dringend reflektiert werden sollte, wenn ich mir eine eher psychodynamische Perspektive erlauben darf). Es gilt vielleicht, eine Balance zu finden sowohl zwischen einer manchmal nötigen Parteilichkeit mit den Überlebenden jeglicher Art von Gewalt, als auch einer neutraleren Distanz, aus der wir Muster beobachten können. Dabei liegt es in unserer fachlichen Verantwortung, als gewaltvoll beschriebenes Handeln auch als solches einzuschätzen sowie mutig Hypothesen laut werden zu lassen, ohne sich in diese zu verlieben. Realität ist natürlich, dass uns auch letzteres in unserem Arbeitsalltag passiert und wir vielleicht auch aus Betroffenheit impulsiv reagieren sowie Teil der Dynamik werden. Die Antwort auf die Frage, wie diese Balance im Blick behalten werden kann, ist für mich ganz klar Supervision und interkollegialer Austausch als Bestandteil professionellen, verantwortungsvollen Handelns. Besonders hervorzuheben ist dieser Teil unserer Verantwortung in einem herausfordernden Bereich, in dem wir als Fachpersonen unweigerlich mit teilweise sogar Entsetzlichem konfrontiert und aufgefordert sind, den therapeutischen Rahmen zu halten.

Natürlich sind wir außerdem ethischen Grundsätzen verpflichtet. Gleichzeitig ist nicht abzustreiten, dass Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch in allen Kontexten stattfinden, in denen es Hierarchien gibt, und das gilt auch für den therapeutischen Raum. Für mich hat sich dafür noch mal der Blick geschärft. Ich möchte diese Geschichten ernst nehmen und unabhängig von einer konkreten Personalie nicht reflexartig meinen gesamten Berufsstand in Schutz nehmen, sondern auch hier Nuancen wahrnehmen und Grenzüberschreitungen benennen können.

Vernachlässigt werden dürfen außerdem nicht die gesellschaftlichen Kontexte, in denen diese Debatte geführt wird. Als einen dieser Kontexte möchte ich die Berichtslage zu aktuelleren sogenannten „Mee-Too“- Geschehnissen nennen. Neben Solidaritätsbekundungen müssen Überlebende immer wieder Unglaube, Anschuldigungen, Hass und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr aushalten. Dabei stellt sich für mich die Frage, wem reflexartig geglaubt und welche Hürden dadurch allen Menschen mit Gewalterfahrungen auferlegt werden, ihre (vielleicht erstmal unglaublich anmutenden) Geschichten zu erzählen.

Zum Nachlesen:

Versachlichungspapier Fachverband Traumapädagogik: https://fachverband-traumapaedagogik.org/files/Versachlichungspapier%20ORG_06.04.23.pdf Heruntergeladen von: https://fachverband-traumapaedagogik.org/start.html

Rise and Fall of the false memory foundation (Englisch): https://news.isst-d.org/the-rise-and-fall-of-the-false-memory-syndrome-foundation/

Feminismus in der Familientherapie Teil 1

Auf der Suche nach kritischer Auseinandersetzung mit systemischen Konzepten bin ich auf zwei interessante Bücher gestoßen, die ich als emanzipatorische Praxis innerhalb der systemischen Therapie und Beratung interpretiere.

Als erstes möchte ich „Feministische Familientherapie in Theorie und Praxis“ von McGoldrick, Anderson und Walsh (1991) kurz vorstellen. Das zweite folgt in einem meiner nächsten Beiträge.

Zu Beginn wird die These aufgestellt, dass die Familientherapie bis heute (und das gilt sicher auch nicht nur für die 90er, sondern darüber hinaus) einer patriarchal bestimmten Perspektive verhaftet bleibt. Untermalt wird diese Hypothese durch Beiträge mehrerer Autor*innen zu verschiedenen Themenbereichen und Fragestellungen:

  • Zur Entwicklung systemischer Konzepte. Dabei wird die Arbeit gewürdigt und gleichzeitig die Vernachlässigung der Kategorie Geschlecht bzw. Gender kritisch diskutiert.
  • Machtungleichheiten entlang von Klasse, race, Gender und Alter im Sinne von Hierarchien, die im theoretischen systemischen Diskurs unterbetont bleiben
  • Im Rahmen einer Falldarstellung aus feministischer Perspektive
  • Gedanken zu einem feministischen Modell in der systemischen Ausbildung
  • Analyse vermeintlich geschlechtsspezifischer Merkmale im Beratungskontext
  • Und weitere.

Dabei wird deutlich, welche Problematik eine Vernachlässigung dieser Perspektive mit sich bringt: Kontexte, in denen sich Frauen* bewegen, können weder ausreichend verstanden noch gewürdigt werden. Versteckt scheint dieses Hinwegsehen z.B. hinter einem reduzierten Verständnis von Neutralität und Zirkularität.

Außerdem schwingt in den Beiträgen immer wieder die Frage mit, wer Theorie entwickelt und damit auch aus welcher Perspektive. Oft scheint (auch in anderen Zusammenhängen) die (cis-) männliche Perspektive als vermeintlich neutral und objektiv zu gelten. Das gilt es zu hinterfragen und dazu entwickeln die Autor*innen dieser Publikation schon 1991 (!) spannende und inspirierende Zugänge.

Gleichzeitig bleibt beim Lesen und Entdecken dieser vielfältigen und langjährigen feministischen Tradition in der Familientherapie ein bitterer Beigeschmack. Ohne intensive Suche wäre ich nicht auf sie gestoßen und frage mich, warum diese Analysen scheinbar immer noch nicht in dem Maß ernst genommen werden, dass sie im breiten Diskurs ankommen. Im systemischen Sinne: Was braucht es noch…? Wahrscheinlich weiterhin eine kämpferische Haltung und Hartnäckigkeit, da voraussichtlich niemand freiwillig Platz machen wird.

Eine wichtige Wegbereiterin ist gegangen

Am 19.5.3023 ist Maria Mies mit 92 Jahren gestorben. Sie hat die vorherrschende Wissenschaft schon vor 50 Jahren in Frage gestellt und mit ihren Thesen für eine andere Herangehensweise an Forschung fruchtbare Diskussionen ausgelöst. Leider hat dies in der Forschung bis heute nicht zu einem Umdenken geführt. Aber wir werden ihre Anstöße weiter verfolgen, auch auf unserem Blog. DANKE für die vielen Anregungen!