Polyphonie in der Wunderkammer

von Gila Klindworth.

Die Neuköllner Oper empfängt ihre Gäste auf einem Friedhof an der Berliner Hermannstraße. Sie werden sogleich zwischen den Gräbern zu einer Stelle geführt, an der viele Pilze wachsen. Kaum haben sie sich darum geschart, beginnt es in den Büschen zu singen – ein Kanon.

Eine Pilzforscherin erzählt von der Kommunikation der Pilze untereinander, ohne die es gar keinen belebbaren Planeten geben würde. Dann geht es weiter zu einer anderen Stelle auf dem Friedhof, an der das Publikum ein paar Fledermäuse sieht. Es ist nicht der Tag und die Stunde, um die nach Süden ziehenden Vogelschwärme zu sehen – wir müssen sie uns am dämmrigen Himmel vorstellen. Dann geht es zurück zur Kapelle, in der die Expertin für Pilze, der Experte für Schwarmintelligenz und die Musiker_innen erfahrbar und verstehbar machen, was Vernetzung heißt und wie viel das mit den Menschen zu tun hat, die ohne Vernetzung nicht leben könnten.

Wunderkammer – so nennt die Neuköllner Oper eine Veranstaltunghsreihe, in Anlehnung an die Spiegelkabinette der Wunderkammern in der Renaissance. Und sie knüpft auch an die Musik dieser Epoche an: „Eine vielstimmige Musik – Polyphonie – ist dabei so etwas wie ein Spiegel, eine Erfahrung der Netzwerke und Labyrinthe der Pilze im Hörbaren.“ (https://www.neukoellneroper.de/performance/wunderkammer-iii-pilze/)

Drei Sänger_innen betören das Publikum mit ihren wunderschönen Stimmen, und die Kapelle ist ein guter Klangraum dafür. Wir lernen, dass polyphone Musik einer Musik wich, in der eine Stimme dominiert und von den anderen begleitet wird. Polyphone Musik war seitdem die Ausnahme. Eine dieser Ausnahmen im 20. Jahrhundert waren die Kompositionen Astor Piazzollas, dessen Instrumentalmusik in der Wunderkammer von den Stimmen vertont wird.

Die Pilzforscherin beschreibt die Autopoiesis, wenn sie darüber spricht, wie einzelne Pflanzen sich aus der riesigen Zahl von Pilzen in ihrer Umgebung genau die bis zu zehn aussuchen, die ihnen das geben, was sie brauchen. Der Forscher der Schwarmintelligenz erläutert, wie Vögel und Fische sich immer nur an wenigen anderen in ihrer direkten Umgebung orientieren und wie diejenigen, die am meisten Informationen darüber haben, wo es Futter gibt oder wo Gefahr ist, die Führungsrolle übernehmen, so lange, bis andere neue Informationen haben. Und er berichtet, wie er und seine Kolleg_innen Forschungen darüber anstellen, wie Widerstands-Schwarmintelligenz entsteht, z.B. wenn an Ampeln die ersten Passant_innen bei Rot über die Straße gehen und vorher geprüft haben, ob ein Fahrzeug kommt, während andere ihnen folgen, ohne selber zu schauen, ob die Straße wirklich frei ist.

Der künstlerische Leiter der Neuköllner Oper führt, in eine blaue, haarige Jacke gekleidet, die einer Pilzstruktur gleicht, durch diesen Abend. Er meint, dass die soeben gehörten Erkenntnisse zu einer philosophischen Diskussion darüber führen könnten, ob wir nicht das Denken in und mit Grenzen hinterfragen sollten. Nun ja, denke ich, erkennen tun wir nun mal über Unterschiede, das Verbindende sehen wir eben als systemische Zusammenhänge.

Irgendetwas macht, dass die wenigen Stücke, die die Musiker_innen singen, das Publikum total „flashen“, mich eingeschlossen. Nach jeder Gesangseinlage gibt es begeisterten Applaus. Da gibt es wohl eine unterirdische Vernetzung.

Frauen im Design

Ein Besuch im Vitra Museum in Weil am Rhein von Tanja Kuhnert.

Leider konnte ich die Ausstellung Frauen im Design nicht besuchen, da sie bereits beendet war. Trotzdem hat sich der Besuch des Museums gelohnt! Vitra verfügt über die größte Sammlung von Design Objekte weltweit. Das Museum setzt sich kritisch mit der eigenen Konzeption auseinander und geht der Frage nach, wie Frauen im Design zukünftig anders präsentiert werden könnten. Mich hat beeindruckt, wie eine Kuratorin der Ausstellung Frauen im Design in einem Nachrichtenbeitrag im Fernsehen (ich erinnere mich leider nicht, wann das war und wer) gesagt, hat, dass „die Geschichte des Designs neu geschrieben werden müsse, dass der Beitrag von Frauen bisher total unterrepräsentiert sei“. So hat z. B. Galina Balaschowa die Ausstattung für die wichtigsten sowjetischen Raumfahrzeuge und Raumstationen entworfen. Das passt ja nicht in das landläufige Bild weiblichen Designs!

Foto: Tanja Kuhnert, 2022

Aktuell ist die Präsentation der ständigen Sammlung im Vitra Schaudepot von Sabina Marcelis inszeniert: Colour Rush! 400 Designobjekte werden nach Farben sortiert präsentiert. „Dies ermöglicht einen völlig neuen Blick auf die Sammlung, der faszinierende Querverweise über Epochen und Stile erlaubt und gleichzeitig ein monumentales Farberlebnis schafft“ (Vitra, 2022).

Ist dies ein weiblicher Ansatz: Einfach aber wirkungsvoll (!) Dinge darzustellen? Ist dies systemisch: die Arbeit mit Querverweisen, also in Netzwerken denkend, um darzustellen, wie bedeutsam Aspekte und Zusammenhänge sind? Wird hier auf die Ähnlichkeit von Kontexten hingewiesen?  Was denkt Ihr?

Unbedingt hinweisen möchte ich darauf, dass Vitra nicht nur ein Museum, sondern ein ganzer Park, der sogenannte Vitra Campus, ist. Hier hat auch die großartige Architektin Zaha Hadid Spuren hinterlassen. Die ehemalige Werksfeuerwehr hat ein Gebäude von ihr erhalten. Heute befindet sich hier ein Ausstellungsraum. Dieses Gebäude war 1981 ihre erstes Großprojekt. Hadid gilt als Vertreterin des Dekonstruktivismus. Das wiederum ist einen eigenen Artikel wert. Dazu demnächst mehr.

Coder-Foto: Design von Frauen

Literaturtipp

Leider gibt es zur Ausstellung Frauen im Design keinen Katalog. Aber eine gute Alternative ist sicherlich:

Design von Frauen von Clementine Fiell

256 Seiten, 200 farbige Abbildungen, mit ca. 200 farbigen Abbildungen gebunden mit farbigem Vorsatz , Originalverlag: Laurence King Publishing Ltd, London 2019, Originaltitel: ›Women in Design‹. Erscheinungstag: 09.11.2019, ISBN 978-3-8321-9967-8

Der Dumont Verlag hat mir freundlicherweise ein Exemplar überlassen.

„Dieses Buch stellt außergewöhnliche Frauen aus Design und Architekturwelt vor, die in ihren Berufen Großes geleistet haben. Sie alle können zu Recht als bemerkenswert bezeichnet werden, denn trotz aller Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt wurden, gestalteten sie richtungsweisende Werke in Metiers, die lange Zeit – und zum Teil immer noch – von Männern dominiert wurden“ (S. 6).

Es werden 106 Frauen aus Architektur, Schmuckdesign, Möbeldesign, Textildesign, Produktdesign bis hin zum technischen Design für Computer, vorgestellt. Eine wahre Fundgrube wichtiger Frauen, die bis heute unsere Gesellschaft beeinflussen.