Anstrengend sein

In meiner therapeutischen Arbeit spreche ich mit meinen Klient*innen oft über Wut. In den Gesprächen mit Frauen geht es meistens darum, diese Emotion überhaupt anzuerkennen und in das Selbstbild zu integrieren. Oft wird Wut negativ bewertet, als unangenehm markiert. Andere könnten mit Abgrenzung und Abwertung reagieren, deswegen wird der Ärger eher unterdrückt oder geschluckt, anstatt ihn als Hinweis für die eigenen Grenzen zu interpretieren.

Dabei kann weibliche Wut aus Unterdrückung, Ungerechtigkeit oder Diskriminierung resultieren und hat die Kraft, diese Strukturen aufzubrechen und zu verändern. Gleichzeitig oder gerade deswegen gelten wütende Frauen als abstoßend, dramatisch, nicht weiblich und verrückt. Wütende Frauen sind hässliche Frauen. Wütende Frauen werden als weniger kompetent eingeschätzt.

Auch ich habe sowohl in privaten als auch beruflichen Beziehungen die Erfahrung gemacht, dass mein geäußerter Ärger, z.B. nur in Form einer kritischen Rückmeldung, in manchen Kontexten bagatellisiert, lächerlich gemacht, pathologisiert bzw. mir meine Wahrnehmung abgesprochen wird. Dabei scheinen die Strategien einem bestimmten Muster zu folgen. Angesprochene Personen fokussieren auf die Emotion, die transportiert wird, und gehen nicht auf inhaltliche Komponenten ein. Gleichzeitig wird der Vorwurf zurückgegeben, dass der gewählte Ton nicht angemessen sei. Damit tauschen sich plötzlich die Rollen zwischen der kritisierenden und kritisierten Person. Das verwirrt und macht zunächst sprachlos. Bleibe ich dann mit meiner inhaltlichen Position hartnäckig, gelte ich schnell als anstrengend und erschöpfend.

Und wieder drängt sich die kollektive Erfahrung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen auf, die sich einfach nur in andere Worte als noch vor 100 Jahren kleidet. Wir sind eben nicht mehr hysterisch, sondern zu emotional und anstrengend. Ein klassisches Ablenkungsmanöver von berechtigter Kritik.

Auch oder gerade im systemischen Kontext mache ich diese Erfahrung. Unmut zu äußern scheint an sich schon verpönt, nicht Ressourcen- und Lösungsorientiert genug. Kritik trifft auf Rechtfertigungen und vermeintlich neutrale Äußerungen, die sich letztlich doch als Positionierungen lesen lassen. Nämlich für einen Status quo, der von strukturell verankerter Ignoranz von bestimmten Stimmen profitiert.

Aus systemischer Perspektive könnte ich mich nun fragen, worum geht es eigentlich? Was steckt hinter den Positionen, die schnell sehr vehement vertreten werden? Ein als besonders stark interpretierter Gefühlsausdruck, deutliche, wütende Worte können möglicherweise Ausdruck für eine ganze Kette von Unterdrückungserfahrungen stehen, die sich in diesem Moment entladen. Vielleicht wurde vorher schon so viel nicht gehört, dass die einzige Option ein Aufstampfen und Aufschreien zu sein scheint.

Und wozu könnte die Bagatellisierung und Rollenumkehr dienen? Machterhalt wäre meine Hypothese. Denn: Ist Macht das, was Frauen wollen? […] Die Frage […] lässt zudem den Gedanken aufkommen, dass die Untergebenen sich ebenfalls nach Macht sehnen könnten, und das löst damit bei Männern Angst und Bestürzung und bei Frauen Angst und Verlegenheit aus.“ (T.J. Goodrich)

In einem solchen Ringen um Gestaltungsfreiraum und Deutungshoheit lässt es sich schön festbeißen und abarbeiten. Denn wie in Goodrichs Zitat werden bei allen Beteiligten verschiedene verinnerlichte Muster (sexistische wie natürlich auch anderer biografisch und kontextbezogene Wechselwirkungen) mit dazugehörigen Gefühlen und Abwehr aktiviert. Das strengt an und bei fehlender Reflexion dieser Mechanismen aller Beteiligten, ist der Weg zu einer konstruktiven Betrachtung zunächst versperrt.

Wie navigiere ich also am besten in dieser Gemengelage? Ich denke es ist wichtig, Positionen klar zu vertreten, hartnäckig und unbequem zu sein. Doch wenn ich merke, dass sich ein Teil von mir dazu eingeladen fühlt, in dieser (natürlich zirkulär funktionierenden) Dynamik in die Rolle zu rutschen, die mir zugeschrieben wird, trete ich einen Schritt zurück.
Ich distanziere mich also, beobachte den Prozess und wäge die Optionen ab. Wenn ich mit dem gleichen nicht weitergekommen bin, dann sollte ich im systemischen Sinne etwas anderes probieren. Für mich heißt das manchmal, an anderer Stelle weiterzumachen, die mir beweglicher erscheint. Manchmal heißt es für mich auch, klare Konsequenzen zu ziehen und die Beziehungen auf andere Weise zu gestalten.
Denn auch wenn ich kein Gehör finde, muss ich mich nicht mit dem Status quo zufriedengeben und die Gewalt, die darin steckt, akzeptieren. Ich erlaube mir, meine Grenzen zu setzen und versuche darauf zu pfeifen, dass mich mein Gegenüber für anstrengend und schwierig hält.

Inspiriert auch durch: https://www.emotion.de/leben-arbeit/weibliche-wut

Liebe Systemik, ich muss dir widersprechen!

Zunächst möchte ich betonen, dass ich als Systemikerin grundsätzlich von der Wirksamkeit und Effektivität des systemischen Ansatzes überzeugt bin. Ich bin leidenschaftliche Systemikerin durch und durch. Insbesondere die Fokussierung auf Ressourcen und Stärken der Klient*innen, anstatt ausschließlich auf Probleme und Defizite zu blicken, hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen.

Doch in letzter Zeit muss ich der Systemik widersprechen: Sie ist mir phasenweise zu lösungs- und ressourcenorientiert.

Es gibt Zeiten, in denen alles schwierig und unübersichtlich ist und in denen Lösungen nicht sofort ersichtlich sind. In solchen Momenten kann es für die Klient*innen und auch für mich als Therapeutin verlockend sein, schnell nach Lösungen zu suchen, um das Unbehagen zu lindern.

Doch kommen wir damit nicht auf ein gesamtgesellschaftliches Thema zu sprechen? Nämlich dem, uns selbst und anderen gegenüber einen enormen Druck auszuüben, stets effizient und produktiv zu sein. 

In unserer Gesellschaft wird Erfolg oft mit Produktivität und Effizienz gleichgesetzt. Es wird erwartet, dass wir jederzeit unsere Arbeit schnell und fehlerfrei erledigen, unsere Ziele konsequent verfolgen und im Leben vorankommen. Diese Mentalität führt dazu, dass wir unsere Emotionen unterdrücken oder ihnen nicht genügend Raum geben. Emotionen werden oft als störend und unproduktiv betrachtet und es wird angenommen, dass sie uns von unseren Zielen abbringen.

Dieses Denken ist jedoch problematisch, da Emotionen Teil unseres menschlichen Seins sind und uns dabei helfen, unsere Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen. Wenn wir unsere Emotionen ignorieren oder unterdrücken, können sie uns innerlich belasten und möglicherweise zu körperlichen oder psychischen Erkrankungen führen.

Zu schnell verfallen wir als professionelle Systemiker*innen in die Haltung, immer wieder zu reflektieren, neue Perspektiven aufzuzeigen oder Ressourcen hervorzuheben. Das mag in manchen Fällen eine hilfreiche Methode sein, um den Klient*innen neue Wege aufzuzeigen, kann jedoch auch zu einer Distanz der eigentlichen Themen und Problemen führen.

Zudem liegt der Fokus somit sehr auf der Handlungsebene und die zugrundeliegenden emotionalen Prozesse werden nicht ausreichend berücksichtigt. Klient*innen unterdrücken oder ignorieren Emotionen, um schnellstmöglich zu einer Lösung zu gelangen.

In unserem hektischen Alltag und unserer schnelllebigen Gesellschaft ist es oft schwer, Raum für Emotionen zu schaffen und diese zuzulassen. 

Gerade wir als professionelle Systemiker*innen sollten eine Raum schaffen, in dem Emotionen willkommen sind und nicht als störend oder unnütz betrachtet werden. 

Wir sollten Sorge dafür tragen, dass unsere Klient*innen die Chance haben, sich auch mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen und eine gesunde Haltung zu diesen zu entwickeln. 

Wie siehst du das? Hinterlass es uns gern in den Kommentaren – wir sind gespannt!

Wann werden sie verstehen?

Viele Frauen lauschen auf einem Kongress dem Vortrag eines Mannes, der Einfluss hat auf Veränderungsprozesse in Organisationen und der weiß, dass er gerade vor 180 Frauen spricht. Er meint, viele von den Zuhörerinnen hätten davon vielleicht noch nichts mitbekommen, aber es gebe da so Entwicklungen in der IT … Eine Zuhörerin macht deutlich, dass sie an ihrem Arbeitsplatz schon sehr viel weiter sind als bei dem Stand, den er gerade geschildert hat. Viele andere nicken.

Der Redner lobt gerade den Veränderungsprozess einer Organisation, als eine Frau sich zu Wort meldet, die von genau diesem Prozess eine Menge mitbekommen hat. Sie beklagt, dass die Belange von Frauen darin überhaupt keine Berücksichtigung fanden. „Ach ja“, sagt er, „so ist das, wenn man ein neues Auto baut. Da kommen dann Leute und wollen ein fünftes Rad und man muss dann sehen, wie man all die Räder noch in das neue Auto integriert.“ – Soso, Frauenbelange sind also das fünfte Rad am Wagen. Klarer lässt sich männliches Denken nicht zum Ausdruck bringen. Aber es geht noch weiter.

Er zeigt den Frauen das Bild eines heute gängigen Autos (keine Ahnung, was das für eins ist, ich habe überhaupt nicht darauf geachtet). Damit will er deutlich machen, dass wir uns mental noch in einem Zustand befinden, der sich für ihn am besten mit dem Fahren eines Autos mit dem heute üblichen technischen Standard vergleichen lässt. Man ist auf die herkömmlichen Armaturen eingestellt und geht davon aus, dass diese so bleiben werden. Und da müsse sich in den Köpfen noch einiges verändern. Meine Sitznachbarin und ich schauen uns vielsagend an. Wir können uns nicht vorstellen, dass die anderen 180 Frauen in diesem Raum sagen: „Ach, stimmt, ich muss mich wohl auf ein neues Auto-Cockpit einlassen. Ich werde mein heiß geliebtes Auto-Armaturenbrett sicher sehr vermissen.“

Immerhin ist es für die Frauen keine Selbstverständlichkeit mehr, dass sie mit dieser männlichen Ignoranz konfrontiert werden: Immer mehr Teilnehmerinnen stehen auf und gehen kurz raus oder unterhalten sich. Aber dass diese Sorte Männlichkeit, die sich weiterhin in den verantwortlichen Positionen breit macht, ausstirbt, darauf werden wir wohl noch lange warten müssen.