Der stille Kampf mit dem Spiegelbild

Am 27.12.2023 ich sitze völlig aufgelöst und weinend im Urlaub auf dem Bett. Ich fühle mich unwohl in meinem Körper, nein, ich bin verzweifelt und unzufrieden. Vielleicht habe ich 2-3 Kilo zugenommen, aber es ist mehr als das. Mein Körper und mein Kopf sind in einem Strudel der Unzufriedenheit gefangen.

Diese Situation ist mir nicht fremd. Ich kenne sie und das schon sehr lange – sie begleiten mich schon ein Leben lang. 

Dabei bin ich mir sicher, dass viele Frauen ganz genau wissen, wovon ich spreche. 

Innerlich spüre ich immer wieder die Zerrissenheit: Ich will mich nicht fertig machen. Ich möchte einen gesunden Bezug zu meinem Körper haben, und mit ‚gesund‘ meine ich nicht schlank oder dünn. Denn ein schlanker Körper ist nicht zwangsläufig ein gesunder Körper. Aber genau diese Überzeugung hat sich mir eingebrannt, wie so vieles, wenn es um den Körper der Frau geht. Es ist belastend, manchmal so stark, dass es mich erdrückt.

„Die Erschöpfung der Frauen“: Ein tiefgehender Einblick in die Körperscham

Das Buch „Erschöpfung der Frauen“ widmet ein ganzes Kapitel dem Thema Körperscham. Es enthüllt, wie Frauen durchschnittlich alle dreißig Sekunden ihr Aussehen überprüfen. Dies geschieht jedoch nicht aus einem liebevollen, sondern aus einem ängstlichen, strengen und oft selbstkritischen Blickwinkel. Diese ständige Selbstüberwachung ist nicht nur erschöpfend, sondern oft auch gesundheitsschädigend. Sie raubt Frauen die Energie und Zeit für andere, wichtigere Aspekte ihres Lebens.

Die Forschung zeigt, dass Frauen aller Altersgruppen und Schichten die Auswirkungen gesellschaftlicher Schönheitsnormen erleben. Es gibt zwar Unterschiede bezüglich des Alters, diese sind jedoch weniger signifikant als erwartet. In einer Gesellschaft, die Schönheit mit Jugend gleichsetzt, sind Frauen bis ins hohe Alter hinein enormen Anforderungen ausgesetzt. Über 60 Prozent der Frauen zwischen 60 und 70 Jahren und fast 80 Prozent der 54-jährigen Frauen berichten von Körperunzufriedenheit. Diese Zahlen zeigen, dass der Druck, jugendlich und schön zu erscheinen, tief in der weiblichen Psyche verankert ist.

Das Buch hebt auch hervor, dass viele Frauen den Schönheitsdruck internalisiert haben und versuchen, die Illusion der Jugend durch ständige Körperüberwachung aufrechtzuerhalten. Diese anhaltende Körperbeobachtung kann zu Körperscham und Angst vor den herrschenden Schönheitsnormen führen. In Verbindung mit diesen negativen Erfahrungen reduziert die Selbst-Objektivierung auch die Möglichkeiten für Vergnügen und Entspannung. Viele Mädchen und Frauen sind fast ununterbrochen mit ihrem Aussehen und der Frage beschäftigt, was andere von ihnen denken und wie sie bewertet werden.

Als wäre das nicht schon schlimm genug: “Gerisch zitiert eine Patientin: »Ich fühlte mich so dick, so hässlich, ich stand stundenlang vor dem Spiegel, um etwas Schönes an mir zu finden, aber es wollte mir einfach nicht gelingen; schließlich nahm ich das Messer und schlitzte mir die Arme auf.« Eine andere sagte: »Ich fühlte mich plötzlich winzig, wie ein Zwerg unter Riesen und wollte einfach verschwinden. Da nahm ich die Tabletten.« Oder kehrseitig: »Ich fühlte mich monströs wie ein Monster aus einem Computerspiel und wollte diesem Elend einfach nur ein Ende bereiten.«

Ein emotionaler Aufruf

Beim Lesen dieser Zeilen steigen mir die Tränen in die Augen. Ich bin entsetzt, fassungslos und wütend darüber, dass ich und viele andere Frauen mit dieser Bürde leben. Ich habe es satt, vollgestopft mit Idealen und Selbstabwertungen zu sein. Ich bin erschöpft von den Jahren, in denen ich mich nur mit meinem Körper und Aussehen beschäftigt habe.

Ich möchte in Würde altern, aber ich weiß nicht, wie. Auf Instagram sehe ich Frauen, die gegen das Körperideal kämpfen. Doch auch hier wird oft ein Bild von Schönheit vermittelt. Es ist verwirrend und zeigt, dass wahre Freiheit schwer zu erreichen ist.

Auf der Suche nach Gleichgewicht und Akzeptanz

Vielleicht geht es nicht darum, sich vollständig von diesen Idealen zu befreien, sondern vielmehr um Akzeptanz und Bewusstsein. Es geht darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, das Erbe unserer Mütter und Großmütter anzuerkennen und gleichzeitig unseren eigenen Weg zu gehen. Dieser Balanceakt zwischen Loslassen und Annehmen ist ein Prozess, der Geduld und Selbstliebe erfordert.

„Der Trost der Schönheit“

Im flüsternden Gewirr der Buchläden finde ich Ruhe – meine Zuflucht vor der Welt. Bei meinem letzten Streifzug fiel mir auf, dass ich instinktiv mehr Werke von Autoren wählte. War es Zufall? Meine Neugier erwachte, und die Recherche enthüllte eine bittere Wahrheit: Ein Ungleichgewicht, das tiefer liegt als bloße Zufälligkeit.

„Ein Bericht über die Frühjahrsprogramme der Verlage Hanser, Fischer und Rowohlt offenbart einen Autorinnenanteil von gerade einmal 22 bis 30 Prozent. Generell sind es nur 40 Autorinnen auf 60 Autoren, mit einem besonders starken Missverhältnis in Genres abseits der leichten Unterhaltung.“

Es ist ein bekanntes Muster, doch heute möchte ich nicht die Missstände in den Fokus rücken, sondern eine Stimme, die mich erreicht hat.

Gabriele von Arnims „Der Trost der Schönheit“ war ein Zufallsgriff und die ersten Zeilen ließen mich innehalten: „Denn wenn ich Schönheit sehe, höre, lese, spüre, dann glaube ich an Möglichkeiten. An Wege, Räume, Purzelbäume. Der Trost der Schönheit ist vielleicht Eskapismus, aber ganz gewiss auch notwendiger Selbsterhalt.“

Das Buch ist ein Abenteuer – ein literarisches Eintauchen in die Schönheit als Gegenpol zum Getöse der Welt.

Wie oft dachte ich es nicht nur, sondern sprach es auch laut aus: „Wie schön!“ 

Durchatmen, lächeln und innehalten, hielten bis zur letzten Seite an. 

„Der Trost der Schönheit“ ist ein Werk, das unsere Zeit dringend benötigt.

Die Texte sind eine Sammlung persönlicher Geschichten und Reflexionen, die tiefgründig die Facetten der menschlichen Erfahrung – Empathie, Trauer, Freude und Leid – erkunden. Sie thematisieren die Notwendigkeit, Pausen von den Problemen der Welt zu nehmen, und betonen die Rolle der Schönheit als Rettungsanker.

Dieses Buch ist ein Nachdenken über menschliche Resilienz in einer von Schönheit und Tragödie gezeichneten Welt. Es lädt uns ein, über unsere Position inmitten globaler Unruhen nachzudenken und wie wir zwischen Empathie und Selbstfürsorge ein Gleichgewicht finden können.

In diesem literarischen Schatz offenbart sich auch meine weibliche Seite der Systemik. Das Buch spiegelt den systemischen Ansatz wider – es betrachtet das Leben in seiner Ganzheit, verknüpft die Schönheit mit dem Schmerz, das Individuum mit dem Kollektiv. Es lehrt uns, die Komplexität unseres Daseins zu umarmen und unsere persönlichen Erfahrungen als Teil eines größeren Ganzen zu sehen. Gabriele von Arnim hat nicht nur ein Buch geschrieben; sie hat einen systemischen Dialog geschaffen, der die Brücke schlägt zwischen unserem inneren Erleben und der äußeren Welt. In ihrer Reflexion zeigt sich die wahre Kunst der Systemik: Verbindung aufzubauen – zwischen Worten, Menschen, Gefühlen und letztlich der Gesellschaft selbst.

Ein Blick in „Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach

Stell dir einen Moment lang vor, du balancierst auf einem schmalen Drahtseil, das über einem tiefen Abgrund gespannt ist. Jeder Schritt, den du machst, erfordert höchste Konzentration und Anstrengung. Du weißt, dass ein einziger falscher Schritt Konsequenzen haben kann. Dieses Bild mag metaphorisch sein, aber für viele Frauen ist es eine tägliche Realität.

In unserer Gesellschaft wird Weiblichkeit oft mit Fürsorglichkeit gleichgesetzt. Frauen werden als diejenigen angesehen, die für emotionale Unterstützung, Harmonie und Beziehungsarbeit verantwortlich sind. Sie tragen die unsichtbare Last, anderen – sei es der Familie, den Partnern, der Öffentlichkeit oder dem Arbeitsplatz – ihre Aufmerksamkeit, Liebe, Zeit und Attraktivität zu „schulden“.

Die Soziologin und Genderforscherin Franziska Schutzbach beleuchtet in ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ diese allgegenwärtigen Erwartungen und zeigt auf, wie sie Frauen in die Erschöpfung treiben. Sie führt uns in eine Welt, in der Frauen unaufhörlich darum kämpfen, den Erwartungen gerecht zu werden, und dabei oft übersehen werden.

„Ob als Mütter oder als Mädchen, ob als Frauen verschiedener ethnischer Hintergründe, als Trans- oder Non-Binäre Personen, als dicke oder lesbische Frauen, ob im Pflegeberuf oder als Unternehmerinnen“ – die Verausgabung hat unterschiedliche Ausmaße und unterschiedliche Ursachen. Doch eines haben diese Frauen gemeinsam: Sie leisten unaufhörlichen Widerstand gegen ein System, das von ihnen alles erwartet und wenig zurückgibt.

In „Die Erschöpfung der Frauen“ sehen wir nicht nur die Erschöpfung, sondern auch die Stärke und den Widerstand dieser Frauen. Wir sehen, wie sie sich gegen die Ausbeutung ihrer Energie, ihrer Psyche und ihrer Körper erheben und zu einer treibenden Kraft für neue Arbeits- und Lebensweisen werden.

Dieses Buch ist mehr als nur eine Lektüre. Es ist ein Aufruf zur Empathie und zur Anerkennung der unsichtbaren Belastungen, denen Frauen täglich ausgesetzt sind. Es fordert uns auf, genauer hinzusehen, zuzuhören und die Geschichten der Frauen zu verstehen, die im Schatten der Gesellschaft agieren.

In den kommenden Beiträgen möchte ich in einige Themen tiefer eintauchen, die in „Die Erschöpfung der Frauen“ behandelt werden und darüber nachdenken, wie wir diese als  Systemische Therapeut*innen in unserer alltäglichen Berufspraxis berücksichtigen können. Dieses Buch öffnet die Tür zu einer wichtigen Diskussion über die Geschlechterdynamiken in unserer Gesellschaft, und ich lade dich herzlich ein, dich dieser Diskussion anzuschließen.

Ich freue mich schon auf einen inspirierenden Austausch.

Ein eindringlicher Appell zur Veränderung: Gemeinsam gegen patriarchale Strukturen und sexualisierte Gewalt!

Ich habe gehadert. Ich habe lange überlegt: Darf ich mich wirklich als Frau öffentlich und laut positionieren? Allein diese Tatsache macht mich unglaublich wütend!

Nicht nur, dass ich als Mädchen mit meiner Wut unterdrückt wurde: Es führt sich bis heute fort, indem ich mich als erwachsene Frau nicht mit meiner Wut zu zeigen getraue.

Mit diesem Artikel setze ich ein Zeichen: Ich zeige meine Wut!

Der Anlass meiner Wut sind die Vorwürfe gegenüber Rammstein: Immer mehr Frauen berichten von systematischen (Macht-) Missbrauch und sexualisierter Gewalt auf und nach Konzerten der Band. 

Anfang Juni scrolle ich durch Artikel, Videos und Kommentare. Mit Erschrecken wird mir bewusst: Ich bin eine stillschweigende Beobachterin! 

Denn insbesondere habe ich Angst, mich in den sozialen Medien dazu zu äußern und zu positionieren. 

Doch meine Wut lässt sich nicht mehr unterdrücken und wird zu dem wichtigsten Mitteln, so dass dieser Artikel entstehen kann. 

Es ist meine Verantwortung als Frau, Therapeutin und Dozentin, ein Zeichen zu setzen: Deshalb spreche ich mich in aller Deutlichkeit für Frauen, die sexuelle Gewalt, Belästigungen und Übergriffe erlebt haben aus. Ich glaube euch!

Gleichzeitig zeige ich mich als Erlebende.

Diese Enthüllungen werfen ein erschreckendes Licht auf die patriarchalen Strukturen und den Machtmissbrauch, die in der Musikindustrie und darüber hinaus weit verbreitet sind. 

Doch lasst mich klarstellen: Dies ist kein isoliertes Phänomen, das nur die Musikbranche betrifft. Vielmehr verdeutlicht es ein allgemein wichtiges, allgegenwärtiges und ernstzunehmendes Thema, das in unserer Gesellschaft existiert – die systematische Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen und Minderheiten. Diese besorgniserregenden Vorfälle sollten uns aufrütteln und uns dazu bewegen, nicht nur die Musikindustrie, sondern sämtliche Bereiche zu hinterfragen, in denen solche ungleichen Machtverhältnisse und sexuelle Gewalt weiterhin präsent sind. Es ist an der Zeit, dass wir kollektiv dafür einstehen, Veränderungen herbeizuführen, Gerechtigkeit zu fordern und eine Kultur des Respekts und der Gleichberechtigung zu fördern.

Ich finde es erschreckend und schockierend, dass Menschen sich anmaßen infrage zu stellen, ob Menschen sexualisierte Gewalt erfahren haben.

Es ist entsetzlich, dass Frauen immer noch gezwungen sind, die Schuld der Täter zu beweisen, wenn sie den Mut haben, über solche traumatischen Erfahrungen zu sprechen. Erlebende sexualisierter Gewalt und Belästigung müssen oft mit einem undurchdringlichen Dickicht von Zweifeln und Schuldzuweisungen kämpfen. Dabei sollten wir uns fragen, warum so viele Menschen bereit sind, die Täter zu beschützen und die Stimmen der Opfer zu unterdrücken, nur weil sie wie in diesem Fall Mitglieder einer erfolgreichen Band sind.

Patriarchale Strukturen sind in unserer Gesellschaft noch immer tief verwurzelt. In der Musikindustrie sind sie besonders deutlich zu erkennen, da sie ein Umfeld schaffen, in dem männliche Künstler mit einer beunruhigenden Macht über weibliche Fans ausgestattet sind. Diese Dynamik verstärkt sich durch den übermäßigen Ruhm und die Verehrung, die vielen Bands zuteilwerden. Wenn Menschen ihre Idole anhimmeln, entsteht ein Machtgefälle, das Missbrauch begünstigt.

Es ist schockierend, dass sexualisierte Gewalt zu etwa 90% von Männern begangen wird. Dies ist ein alarmierender Beweis für die tiefsitzenden Probleme in Bezug auf Geschlechterungleichheit und toxische Männlichkeitsnormen in unserer Gesellschaft. Als Frau stehe ich Seite an Seite mit all den mutigen Frauen, die sich gegen diese Ungerechtigkeiten erheben und den Mut finden, ihre Stimmen zu erheben.

Als Systemische Therapeut*innen tragen wir eine besondere Verantwortung, uns mit diesen drängenden Themen auseinanderzusetzen. Unsere Arbeit dreht sich um das Verständnis von Systemen und wie sie auf individuelle Erfahrungen und Verhaltensweisen einwirken. In diesem Kontext können wir nicht ignorieren, wie patriarchale Strukturen und sexualisierte Gewalt ganze Systeme durchdringen und schädigen.

Es ist unerlässlich, dass Therapeut*innen, unabhängig vom Geschlecht, sich aktiv für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit einsetzen. Als weibliche Therapeut*innen können wir uns einfühlen und Verständnis für die Erfahrungen von Opfern sexualisierter Gewalt aufbringen, was für unsere Klientinnen von großer Bedeutung sein kann. 

Zugleich appelliere ich an unsere männlichen Kollegen, sich dieser Themen mit besonderer Sensibilität zu widmen.

Männliche Therapeuten spielen eine essenzielle Rolle in diesem Kampf. Indem sie sich mit Entschlossenheit gegen patriarchale Strukturen und Machtmissbrauch positionieren, können sie als Vorbilder für ihre männlichen Klienten dienen. Ihre Unterstützung ist entscheidend, um ein Umdenken in Bezug auf toxische Männlichkeitsnormen und die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt zu fördern. Männer können ihre Position und ihr Privileg nutzen, um aktiv Teil der Veränderung zu sein und die Stimmen der Opfer zu stärken.

Es steht für mich nicht zur Diskussion, dass es unser aller Verantwortung ist, sichere Räume zu schaffen, in denen Klient*innen über ihre Erfahrungen sprechen können. 

Wir müssen – und in diesem Kontext verwende ich bewusst genau dieses Wort – dazu beitragen, Scham und Stigmatisierung zu reduzieren und Menschen dabei unterstützen, Stärkung zu erfahren.

Lasst uns sicherstellen, dass jede Stimme gehört wird, dass Opfer Unterstützung erhalten und dass Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Lasst uns diese Verantwortung übernehmen und unsere Therapiepraxis zu einem Ort machen, an dem Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Identität oder ihrer Erfahrung geschützt und unterstützt werden.

Lasst uns gemeinsam als Therapeut*innen eine solidarische Gemeinschaft bilden, die aktiv gegen patriarchale Strukturen und sexualisierte Gewalt auftritt. Unsere Stimmen können dazu beitragen, eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen und eine Welt zu gestalten, in der Gleichberechtigung, Respekt und Mitgefühl die Grundpfeiler sind.

Diejenigen, die ihre Macht missbrauchen, dürfen nicht länger ungestraft davonkommen. Gemeinsam können wir Veränderung bewirken.

Macht euch stark füreinander! Erhebt eure Stimme und seid laut!

(Ich habe mich in meinem Artikel bewusst von der Bezeichnung „Opfer“ distanziert, da es Menschen als wehrlos darstellt. Stattdessen möchte ich appellieren, wie im Artikel von „Erlebenden“ zu sprechen.)

Schreib gern in die Kommentare, wie es dir mit diesem Artikel geht. Was bringt dieser bei dir zum Anklingen? 

Liebe Systemik, ich muss dir widersprechen!

Zunächst möchte ich betonen, dass ich als Systemikerin grundsätzlich von der Wirksamkeit und Effektivität des systemischen Ansatzes überzeugt bin. Ich bin leidenschaftliche Systemikerin durch und durch. Insbesondere die Fokussierung auf Ressourcen und Stärken der Klient*innen, anstatt ausschließlich auf Probleme und Defizite zu blicken, hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen.

Doch in letzter Zeit muss ich der Systemik widersprechen: Sie ist mir phasenweise zu lösungs- und ressourcenorientiert.

Es gibt Zeiten, in denen alles schwierig und unübersichtlich ist und in denen Lösungen nicht sofort ersichtlich sind. In solchen Momenten kann es für die Klient*innen und auch für mich als Therapeutin verlockend sein, schnell nach Lösungen zu suchen, um das Unbehagen zu lindern.

Doch kommen wir damit nicht auf ein gesamtgesellschaftliches Thema zu sprechen? Nämlich dem, uns selbst und anderen gegenüber einen enormen Druck auszuüben, stets effizient und produktiv zu sein. 

In unserer Gesellschaft wird Erfolg oft mit Produktivität und Effizienz gleichgesetzt. Es wird erwartet, dass wir jederzeit unsere Arbeit schnell und fehlerfrei erledigen, unsere Ziele konsequent verfolgen und im Leben vorankommen. Diese Mentalität führt dazu, dass wir unsere Emotionen unterdrücken oder ihnen nicht genügend Raum geben. Emotionen werden oft als störend und unproduktiv betrachtet und es wird angenommen, dass sie uns von unseren Zielen abbringen.

Dieses Denken ist jedoch problematisch, da Emotionen Teil unseres menschlichen Seins sind und uns dabei helfen, unsere Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen. Wenn wir unsere Emotionen ignorieren oder unterdrücken, können sie uns innerlich belasten und möglicherweise zu körperlichen oder psychischen Erkrankungen führen.

Zu schnell verfallen wir als professionelle Systemiker*innen in die Haltung, immer wieder zu reflektieren, neue Perspektiven aufzuzeigen oder Ressourcen hervorzuheben. Das mag in manchen Fällen eine hilfreiche Methode sein, um den Klient*innen neue Wege aufzuzeigen, kann jedoch auch zu einer Distanz der eigentlichen Themen und Problemen führen.

Zudem liegt der Fokus somit sehr auf der Handlungsebene und die zugrundeliegenden emotionalen Prozesse werden nicht ausreichend berücksichtigt. Klient*innen unterdrücken oder ignorieren Emotionen, um schnellstmöglich zu einer Lösung zu gelangen.

In unserem hektischen Alltag und unserer schnelllebigen Gesellschaft ist es oft schwer, Raum für Emotionen zu schaffen und diese zuzulassen. 

Gerade wir als professionelle Systemiker*innen sollten eine Raum schaffen, in dem Emotionen willkommen sind und nicht als störend oder unnütz betrachtet werden. 

Wir sollten Sorge dafür tragen, dass unsere Klient*innen die Chance haben, sich auch mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen und eine gesunde Haltung zu diesen zu entwickeln. 

Wie siehst du das? Hinterlass es uns gern in den Kommentaren – wir sind gespannt!

Sozialisierung, Klassenunterschiede, Zweifel

Unsere Sozialisierung und familiäre Hintergründe haben einen starken Einfluss auf unsere Einstellungen und Überzeugungen. In Bezug auf Bildung und Karriere haben Menschen aus unterschiedlichen Klassen häufig unterschiedliche Möglichkeiten, Ressourcen und Netzwerke. 

Gerade einmal 21% der Nichtakademiker*innen-Kinder beginnen ein Studium. 15% der Nichtakademiker*innen-Kinder erwerben einen Bachelortitel.

Ich möchte hier meine Geschichte erzählen und weiß: Ich erzähle damit nicht nur meine eigene!

Als Frau aus einer reinen Arbeiterinnenfamilie – tatsächlich nur Frauen – zu sein, bedeutete für mich mit Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert zu werden. 

Ich bin mit der Überzeugung aufgewachsen, dass höhere Bildung und akademische Abschlüsse etwas für diejenigen sind, die über einen besseren sozialen Status oder eine bessere finanzielle Lage verfügen.

Höhere Bildung und Karriere galten für mich als unerreichbar.

Unsere Prägungen und Überzeugungen, die wir in unserer Kindheit und Jugend aufnehmen, haben einen tiefgreifenden Einfluss auf uns.

Meine Schulzeit begann aufgrund meiner sozialen Herkunft – insbesondere unserer finanziellen Armut – mit Ausgrenzungen und Mobbing. Der Satz: „Ich bin nicht gut genug.“, hat sich mir frühzeitig eingebrannt.

Meine Schulzeit beendete ich mit einer Bewerbung an einer Berufsschule zum Erwerb der Fachhochschulreife.

Sie wurde abgelehnt. Die unausgesprochene Botschaft: „Du bist nicht gut genug!“

So brach ich zunächst eine Ausbildung nach zwei Jahren ab. Es folgte eine dreijährige Ausbildung zur Altenpflegerin. Der Abschluss: Mein erstes Erfolgserlebnis.

Doch nach drei Jahren war ich völlig ausgebrannt und wusste nur eines: Ich will es nochmal versuchen – das Fachabitur. 

Die Bewerbung verlief erfolgreich, doch am Abschluss im ersten Anlauf scheiterte ich!

Doch habe ich in in meinem Leben eines gelernt: Kämpfen! (Kein schönes Wort und kein schönes Gefühl!)

Und so schaffte ich es im zweiten Anlauf. 

Ich träumte währenddessen schon von einem Studium Soziale Arbeit. Doch für mich war es eben genau das: Ein Traum – unerreichbar.

Ich weiß noch wie heute, wie ich aus dem Briefkasten die Zusage der HTWK Leipzig für meinen Studienplatz in den Händen hielt und mir die Tränen über die Wangen liefen. 

All die Jahre harte Arbeit zahlten sich mir in diesem Moment aus. 

An dieser Stelle mache ich einen kleinen – natürlich für mich großen – Sprung: Erfolgreich beendete ich das Studium und die anschließende Ausbildung zur Systemischen Einzel-, Paar- und Familientherapeutin. Seit anderthalb Jahren bin ich selbstständig. SELBSTSTÄNDIG!

Wie oft habe ich es in den vergangenen Jahren nicht fassen können: Ich bin Sozialarbeiterin. Ich bin Systemische Therapeutin. Ich bin selbstständig. Wie oft habe ich gesagt: „Ich kann das nicht glauben!“

Obwohl ich durch meine Leistungen bewiesen haben, dass ich in der Lage bin, solche Ziele zu erreichen, zweifle ich bis heute immer wieder an meinen Fähigkeiten und Kompetenzen.

Ich betone bis heute, nur das Fachabitur erreicht zu haben und mit Sicherheit keinen Fachartikel schreiben zu können. 

Bis heute habe ich das Gefühl, nicht zur „akademischen Welt“ zu gehören.

Immer wieder schleicht sich meine Sozialisierung von hinten an und flüstert mir zu: „Bist du dir sicher, dass DU das wirklich kannst?“

Doch wie sagt man so schön: Alles hat sein Gutes!

Denn gerade in meiner Arbeit als Systemische Therapeutin kann ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und Prägungen eine besondere Verbindung zu meinen Klient*innen aufbauen, die ähnliche Herausforderungen erlebt haben.

Meine Perspektive ermöglicht es mir, die Bedeutung von Sozialisierung und Klassenbewusstsein in ihrem Leben zu verstehen und wie diese Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen beeinflussen. 

Meine eigene Sozialisation und Erfahrungen haben mich gelehrt, dass unser Umfeld und die Menschen in unserem Leben eine starke Rolle spielen können, wenn es darum geht, unser Selbstbild und unsere Überzeugungen zu formen. 

Indem ich meine eigenen Prägungen reflektiere, kann ich besser verstehen, wie sie meine Sicht auf die Welt und meine eigenen Überzeugungen beeinflussen.

Gleichzeitig müssen auf höherer Ebene Maßnahmen ergriffen werden, um den Bildungszugang für alle zu verbessern und die Bildungsungleichheit zu verringern. Dazu gehören beispielsweise Förderprogramme und Mentoring-Initiativen, die Kinder und Jugendliche aus bildungsniedrigen Familien unterstützen und ihnen eine Chance auf eine gute Bildung und eine erfolgreiche Zukunft geben.

Wie sieht deine Geschichte aus? 

Lass uns gern in den Kommentaren daran teilhaben. Wir freuen uns darauf!

Systemisch bei Tisch – Eine Anekdote aus dem Alltag

Systemisch zu arbeiten, bedeutet oft ungewöhnliche Fragen zu stellen. Fragen, die sich nicht so leicht beantworten lassen, Menschen ins Nachdenken bringen oder sie auch einmal irritieren.

Es sind Fragen, die wir uns selten selbst stellen und die uns neue Perspektiven eröffnen. 

Ich arbeite in einem Co-Working-Space mit Menschen aus unterschiedlichen Branchen. Systemische Beratung? Damit weiß erstmal keine*r etwas anzufangen.

Beim Anblick der Seile im Beratungsraum kam nicht nur einmal die Frage: „Was stellst du nur mit deinen Klient*innen an?“ 

Beim gemeinsamen Essen beantwortete ich die Frage in therapeutischer Manier mit einer Gegenfrage: „Stellt euch vor, eure Gesundheit kommt zur Tür rein. Wer oder was steht da?“

Niemand der anwesenden Personen musste lange überlegen. In Nullkommanix erfüllten Rambo, ein kleiner, blauer Elefant, eine alte Dame und eine gold-glitzernde Wolke den Raum. Jede Gestalt für sich sehr kraftvoll.

So blickten wir auf jede einzelne, stellten nachfragen, lachten und tauschten uns locker über unsere Gesundheit aus. Wann tut man das schon?

Wir witzelten noch lange, dass Rambo uns regelmäßig im Flur den Weg versperren würde und ständig die gold-glitzernde Wolke über uns schwebt.

Tage später erzählte mir ein Kollege aus der Mittagsrunde, dass er seiner Frau diese Frage gestellt habe, die sie wiederum ihrem Team gestellt hatte.  

Systemische Fragen ziehen also Kreise und wirken noch über den Raum hinaus, in dem sie gestellt wurden. Durch Kreativität und Leichtigkeit lassen sich schwere Fragen vielfältig und manchmal auch humorvoll beantworten. Das und noch vieles mehr macht für mich die Systemik aus. 

Und? Wie würde deine Gesundheit aussehen?

Schreib es uns gern in den Kommentaren. Wir freuen uns über dein Bild zu deiner Gesundheit.