2021 lief der Film „Alles in bester Ordnung“ von Natja Brunckhorst in den Kinos, nun ist er in der ARD-Mediathek (bis 1.8.24) zu sehen. Er handelt von Marlen und Fynn. Während Fynn versucht, mit möglichst wenig Dingen auszukommen, hat Marlen im Laufe der Jahre so viel angesammelt, dass es schwierig ist, sich in ihrer Wohnung zu bewegen.* Da Fynn wegen eines Wasserschadens gerade keine Bleibe hat, strandet er bei Marlen. Die versucht, das Chaos in ihrer Wohnung vor der Außenwelt geheim zu halten. Sie lebt deshalb ein recht isoliertes Leben, und so lässt sie auch Fynn nur sehr widerwillig in ihr kleines, chaotisches Reich. Und es kostet sie Überwindung, ihm gegenüber einzugestehen, dass sie mit dem Zustand in ihrer Wohnung ein Problem hat. Denn eigentlich liebt sie Dinge, und mit vielen davon verbindet sie auch wichtige Erinnerungen. Viele andere Dinge hält sie für zu schade zum Wegwerfen. – Was ja durchaus zum Gedanken der Nachhaltigkeit passt. Doch die Unordnung wächst ihr über den Kopf. Fynn fühlt sich berufen, Marlen zu helfen, sich von Dingen zu trennen. Grundsätzlich begrüßt Marlen das, bei der Umsetzung jedoch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Verschiedene Herangehensweisen scheitern, bis Fynn sie irgendwann einlädt, mit ihr auf eine Leiter zu steigen und von oben auf ihre mit Dingen vollgestellte Wohnung zu schauen. Und von dort oben entdeckt Marlen ein Ordnungsprinzip, nach dem sie und Fynn die Dinge dann in der Wohnung anordnen. Von dieser Ordnung aus kann sie die Dinge nach und nach loslassen und sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einlassen.
Was für ein schönes Bild für systemische Beratung und Therapie! Wenn wir Beratung als soziales System verstehen, können wir sagen, wir bieten verschiedene Sinndeutungsmöglichkeiten an und laden zur Beobachtungsperspektive 2. Ordnung ein. Der Film versinnbildlicht das, wenn Fynn Marlen einlädt, mit ihm auf die Leiter zu steigen und ihr Chaos von oben anzuschauen, um zu sehen, was sie nicht sieht, wenn sie sich mittendrin bewegt. Beratung und Therapie wirkt, systemtheoretisch gesprochen, dadurch, dass das psychische System der Klient_innen vor dem Horizont verschiedener Möglichkeiten auswählt, indem sich die Psyche der Klient_in entscheidet, was für die eigene Handlungsfähigkeit relevant ist. Das psychische System sucht sich eine neue Ordnungsform. Wiederum mit der Filmmetapher gesprochen: Es geht nicht darum, andere dazu zu bewegen, sich von etwas zu trennen, sondern es in eine neue Ordnung zu bringen. Im Film geht das Loslassen dann auf einmal ganz leicht.
Ein anderer Aspekt des Films weist auf die weibliche Brille der Filmemacherin hin. Natja Brunckhorst geht sehr liebevoll mit der Motivation der Protagonistin für die Hortung der Dinge um. Für jede Bindung an einen Gegenstand gibt es mindestens einen guten Grund. Hier wird ein weiblicher Blick sichtbar, der nicht achtlos mit Dingen umgeht, sondern darauf trainiert ist, Gegenstände sehr bewusst wahrzunehmen. Die Sozialisation als Mütter und Hausfrauen ist zwar schon längst nicht mehr Teil des weiblichen Selbstverständnisses, und Männer können als Väter und Hausmänner diesen Blick ebenfalls anwenden. Der weibliche Blick wird jedoch weiter in dieser Tradition geprägt, wenn auch nicht mehr explizit. Anfang der achtziger Jahre beschrieb Thomas Ziehe diesen so trainierten weiblichen Blick mit dem Satz: „Die Liebesarbeit der Mutter muß durchs Nadelöhr der Hausarbeit, die Arbeit am Subjekt drückt sich aus in dem Dienst an den Dingen.“*
Aus systemischer Sicht lässt sich das dergestalt reframen, dass ein weiblicher Blick auf die Dinge (den Männer und Menschen anderer Geschlechtsdefinitionen natürlich auch haben und nutzen können) mit einem ästhetischen Anspruch und der Beibehaltung einer gewissen Ordnung auf bereichernde Weise eingesetzt werden kann.
*Thomas Ziehe: Zugriffsweisen mütterlicher Macht. in: Gehrke, C., Treusch-Dieter, G. u.a. (Hg.) 1984: Frauen Macht. Konkursbuchverlag. S. 45-53