Frauen in Rot

„Women in Red“ ist ein Schreibprojekt innerhalb der Wikipedia, das sich zum Ziel erklärt hat, (bemerkenswerte) Frauen durch Einträge sichtbarer zu machen und gleichzeitig den Anteil der weiblichen Beitragenden zu erhöhen. Symbolisch sollen „red links“ (Wikipedia-Links, hinter denen noch kein Artikel steckt) in „blue links“ umgewandelt werden. Dafür werden immer wieder Schreibaktionen – „Edit-a-thons“ – in Städten rund um die Welt durchgeführt, um Beitragende auszubilden. Ein Beispiel ist der Art+Feminism Edit-a-thon, der jährlich am 8. März stattfindet, um Beiträge über Frauen in der Kunst hinzuzufügen.

Das Projekt existiert bisher in 32 Sprachen. Der deutschsprachige Teil der „Women in Red“ fokussiert auf die Erstellung von deutschsprachigen Biographien, die schon in anderen Sprachen verfügbar sind.

Bisher können in der Wikipedia (Abruf am 24.08.2024) 170.463 weibliche Biografien (17,93 %), gegenüber 780.165 männlichen (82,0 %) gelesen werden.

Wie ist die Lage bei den Systemikerinnen? Lasst uns in den Kommentaren wissen, welche Systemikerinnen ihr schon gesucht und in der Wikipedia nicht gefunden habt. Vielleicht habt ihr auch Lust, im Sinne der „Women in Red“ einen Beitrag über genau diese bemerkenswerten Frauen zu schreiben.

Alles in beste Ordnung bringen

2021 lief der Film „Alles in bester Ordnung“ von Natja Brunckhorst in den Kinos, nun ist er in der ARD-Mediathek (bis 1.8.24) zu sehen. Er handelt von Marlen und Fynn. Während Fynn versucht, mit möglichst wenig Dingen auszukommen, hat Marlen im Laufe der Jahre so viel angesammelt, dass es schwierig ist, sich in ihrer Wohnung zu bewegen.* Da Fynn wegen eines Wasserschadens gerade keine Bleibe hat, strandet er bei Marlen. Die versucht, das Chaos in ihrer Wohnung vor der Außenwelt geheim zu halten. Sie lebt deshalb ein recht isoliertes Leben, und so lässt sie auch Fynn nur sehr widerwillig in ihr kleines, chaotisches Reich. Und es kostet sie Überwindung, ihm gegenüber einzugestehen, dass sie mit dem Zustand in ihrer Wohnung ein Problem hat. Denn eigentlich liebt sie Dinge, und mit vielen davon verbindet sie auch wichtige Erinnerungen. Viele andere Dinge hält sie für zu schade zum Wegwerfen. – Was ja durchaus zum Gedanken der Nachhaltigkeit passt. Doch die Unordnung wächst ihr über den Kopf. Fynn fühlt sich berufen, Marlen zu helfen, sich von Dingen zu trennen. Grundsätzlich begrüßt Marlen das, bei der Umsetzung jedoch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Verschiedene Herangehensweisen scheitern, bis Fynn sie irgendwann einlädt, mit ihr auf eine Leiter zu steigen und von oben auf ihre mit Dingen vollgestellte Wohnung zu schauen. Und von dort oben entdeckt Marlen ein Ordnungsprinzip, nach dem sie und Fynn die Dinge dann in der Wohnung anordnen. Von dieser Ordnung aus kann sie die Dinge nach und nach loslassen und sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einlassen.

Was für ein schönes Bild für systemische Beratung und Therapie! Wenn wir Beratung als soziales System verstehen, können wir sagen, wir bieten verschiedene Sinndeutungsmöglichkeiten an und laden zur Beobachtungsperspektive 2. Ordnung ein. Der Film versinnbildlicht das, wenn Fynn Marlen einlädt, mit ihm auf die Leiter zu steigen und ihr Chaos von oben anzuschauen, um zu sehen, was sie nicht sieht, wenn sie sich mittendrin bewegt. Beratung und Therapie wirkt, systemtheoretisch gesprochen, dadurch, dass das psychische System der Klient_innen vor dem Horizont verschiedener Möglichkeiten auswählt, indem sich die Psyche der Klient_in entscheidet, was für die eigene Handlungsfähigkeit relevant ist. Das psychische System sucht sich eine neue Ordnungsform. Wiederum mit der Filmmetapher gesprochen: Es geht nicht darum, andere dazu zu bewegen, sich von etwas zu trennen, sondern es in eine neue Ordnung zu bringen. Im Film geht das Loslassen dann auf einmal ganz leicht.

Ein anderer Aspekt des Films weist auf die weibliche Brille der Filmemacherin hin. Natja Brunckhorst geht sehr liebevoll mit der Motivation der Protagonistin für die Hortung der Dinge um. Für jede Bindung an einen Gegenstand gibt es mindestens einen guten Grund. Hier wird ein weiblicher Blick sichtbar, der nicht achtlos mit Dingen umgeht, sondern darauf trainiert ist, Gegenstände sehr bewusst wahrzunehmen. Die Sozialisation als Mütter und Hausfrauen ist zwar schon längst nicht mehr Teil des weiblichen Selbstverständnisses, und Männer können als Väter und Hausmänner diesen Blick ebenfalls anwenden. Der weibliche Blick wird jedoch weiter in dieser Tradition geprägt, wenn auch nicht mehr explizit. Anfang der achtziger Jahre beschrieb Thomas Ziehe diesen so trainierten weiblichen Blick mit dem Satz: „Die Liebesarbeit der Mutter muß durchs Nadelöhr der Hausarbeit, die Arbeit am Subjekt drückt sich aus in dem Dienst an den Dingen.“*

Aus systemischer Sicht lässt sich das dergestalt reframen, dass ein weiblicher Blick auf die Dinge (den Männer und Menschen anderer Geschlechtsdefinitionen natürlich auch haben und nutzen können) mit einem ästhetischen Anspruch und der Beibehaltung einer gewissen Ordnung auf bereichernde Weise eingesetzt werden kann.

*Thomas Ziehe: Zugriffsweisen mütterlicher Macht. in: Gehrke, C., Treusch-Dieter, G. u.a. (Hg.) 1984: Frauen Macht. Konkursbuchverlag. S. 45-53

Polyphonie in der Wunderkammer

von Gila Klindworth.

Die Neuköllner Oper empfängt ihre Gäste auf einem Friedhof an der Berliner Hermannstraße. Sie werden sogleich zwischen den Gräbern zu einer Stelle geführt, an der viele Pilze wachsen. Kaum haben sie sich darum geschart, beginnt es in den Büschen zu singen – ein Kanon.

Eine Pilzforscherin erzählt von der Kommunikation der Pilze untereinander, ohne die es gar keinen belebbaren Planeten geben würde. Dann geht es weiter zu einer anderen Stelle auf dem Friedhof, an der das Publikum ein paar Fledermäuse sieht. Es ist nicht der Tag und die Stunde, um die nach Süden ziehenden Vogelschwärme zu sehen – wir müssen sie uns am dämmrigen Himmel vorstellen. Dann geht es zurück zur Kapelle, in der die Expertin für Pilze, der Experte für Schwarmintelligenz und die Musiker_innen erfahrbar und verstehbar machen, was Vernetzung heißt und wie viel das mit den Menschen zu tun hat, die ohne Vernetzung nicht leben könnten.

Wunderkammer – so nennt die Neuköllner Oper eine Veranstaltunghsreihe, in Anlehnung an die Spiegelkabinette der Wunderkammern in der Renaissance. Und sie knüpft auch an die Musik dieser Epoche an: „Eine vielstimmige Musik – Polyphonie – ist dabei so etwas wie ein Spiegel, eine Erfahrung der Netzwerke und Labyrinthe der Pilze im Hörbaren.“ (https://www.neukoellneroper.de/performance/wunderkammer-iii-pilze/)

Drei Sänger_innen betören das Publikum mit ihren wunderschönen Stimmen, und die Kapelle ist ein guter Klangraum dafür. Wir lernen, dass polyphone Musik einer Musik wich, in der eine Stimme dominiert und von den anderen begleitet wird. Polyphone Musik war seitdem die Ausnahme. Eine dieser Ausnahmen im 20. Jahrhundert waren die Kompositionen Astor Piazzollas, dessen Instrumentalmusik in der Wunderkammer von den Stimmen vertont wird.

Die Pilzforscherin beschreibt die Autopoiesis, wenn sie darüber spricht, wie einzelne Pflanzen sich aus der riesigen Zahl von Pilzen in ihrer Umgebung genau die bis zu zehn aussuchen, die ihnen das geben, was sie brauchen. Der Forscher der Schwarmintelligenz erläutert, wie Vögel und Fische sich immer nur an wenigen anderen in ihrer direkten Umgebung orientieren und wie diejenigen, die am meisten Informationen darüber haben, wo es Futter gibt oder wo Gefahr ist, die Führungsrolle übernehmen, so lange, bis andere neue Informationen haben. Und er berichtet, wie er und seine Kolleg_innen Forschungen darüber anstellen, wie Widerstands-Schwarmintelligenz entsteht, z.B. wenn an Ampeln die ersten Passant_innen bei Rot über die Straße gehen und vorher geprüft haben, ob ein Fahrzeug kommt, während andere ihnen folgen, ohne selber zu schauen, ob die Straße wirklich frei ist.

Der künstlerische Leiter der Neuköllner Oper führt, in eine blaue, haarige Jacke gekleidet, die einer Pilzstruktur gleicht, durch diesen Abend. Er meint, dass die soeben gehörten Erkenntnisse zu einer philosophischen Diskussion darüber führen könnten, ob wir nicht das Denken in und mit Grenzen hinterfragen sollten. Nun ja, denke ich, erkennen tun wir nun mal über Unterschiede, das Verbindende sehen wir eben als systemische Zusammenhänge.

Irgendetwas macht, dass die wenigen Stücke, die die Musiker_innen singen, das Publikum total „flashen“, mich eingeschlossen. Nach jeder Gesangseinlage gibt es begeisterten Applaus. Da gibt es wohl eine unterirdische Vernetzung.

Frauen im Design

Ein Besuch im Vitra Museum in Weil am Rhein von Tanja Kuhnert.

Leider konnte ich die Ausstellung Frauen im Design nicht besuchen, da sie bereits beendet war. Trotzdem hat sich der Besuch des Museums gelohnt! Vitra verfügt über die größte Sammlung von Design Objekte weltweit. Das Museum setzt sich kritisch mit der eigenen Konzeption auseinander und geht der Frage nach, wie Frauen im Design zukünftig anders präsentiert werden könnten. Mich hat beeindruckt, wie eine Kuratorin der Ausstellung Frauen im Design in einem Nachrichtenbeitrag im Fernsehen (ich erinnere mich leider nicht, wann das war und wer) gesagt, hat, dass „die Geschichte des Designs neu geschrieben werden müsse, dass der Beitrag von Frauen bisher total unterrepräsentiert sei“. So hat z. B. Galina Balaschowa die Ausstattung für die wichtigsten sowjetischen Raumfahrzeuge und Raumstationen entworfen. Das passt ja nicht in das landläufige Bild weiblichen Designs!

Foto: Tanja Kuhnert, 2022

Aktuell ist die Präsentation der ständigen Sammlung im Vitra Schaudepot von Sabina Marcelis inszeniert: Colour Rush! 400 Designobjekte werden nach Farben sortiert präsentiert. „Dies ermöglicht einen völlig neuen Blick auf die Sammlung, der faszinierende Querverweise über Epochen und Stile erlaubt und gleichzeitig ein monumentales Farberlebnis schafft“ (Vitra, 2022).

Ist dies ein weiblicher Ansatz: Einfach aber wirkungsvoll (!) Dinge darzustellen? Ist dies systemisch: die Arbeit mit Querverweisen, also in Netzwerken denkend, um darzustellen, wie bedeutsam Aspekte und Zusammenhänge sind? Wird hier auf die Ähnlichkeit von Kontexten hingewiesen?  Was denkt Ihr?

Unbedingt hinweisen möchte ich darauf, dass Vitra nicht nur ein Museum, sondern ein ganzer Park, der sogenannte Vitra Campus, ist. Hier hat auch die großartige Architektin Zaha Hadid Spuren hinterlassen. Die ehemalige Werksfeuerwehr hat ein Gebäude von ihr erhalten. Heute befindet sich hier ein Ausstellungsraum. Dieses Gebäude war 1981 ihre erstes Großprojekt. Hadid gilt als Vertreterin des Dekonstruktivismus. Das wiederum ist einen eigenen Artikel wert. Dazu demnächst mehr.

Coder-Foto: Design von Frauen

Literaturtipp

Leider gibt es zur Ausstellung Frauen im Design keinen Katalog. Aber eine gute Alternative ist sicherlich:

Design von Frauen von Clementine Fiell

256 Seiten, 200 farbige Abbildungen, mit ca. 200 farbigen Abbildungen gebunden mit farbigem Vorsatz , Originalverlag: Laurence King Publishing Ltd, London 2019, Originaltitel: ›Women in Design‹. Erscheinungstag: 09.11.2019, ISBN 978-3-8321-9967-8

Der Dumont Verlag hat mir freundlicherweise ein Exemplar überlassen.

„Dieses Buch stellt außergewöhnliche Frauen aus Design und Architekturwelt vor, die in ihren Berufen Großes geleistet haben. Sie alle können zu Recht als bemerkenswert bezeichnet werden, denn trotz aller Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt wurden, gestalteten sie richtungsweisende Werke in Metiers, die lange Zeit – und zum Teil immer noch – von Männern dominiert wurden“ (S. 6).

Es werden 106 Frauen aus Architektur, Schmuckdesign, Möbeldesign, Textildesign, Produktdesign bis hin zum technischen Design für Computer, vorgestellt. Eine wahre Fundgrube wichtiger Frauen, die bis heute unsere Gesellschaft beeinflussen.