Der stille Kampf mit dem Spiegelbild

Am 27.12.2023 ich sitze völlig aufgelöst und weinend im Urlaub auf dem Bett. Ich fühle mich unwohl in meinem Körper, nein, ich bin verzweifelt und unzufrieden. Vielleicht habe ich 2-3 Kilo zugenommen, aber es ist mehr als das. Mein Körper und mein Kopf sind in einem Strudel der Unzufriedenheit gefangen.

Diese Situation ist mir nicht fremd. Ich kenne sie und das schon sehr lange – sie begleiten mich schon ein Leben lang. 

Dabei bin ich mir sicher, dass viele Frauen ganz genau wissen, wovon ich spreche. 

Innerlich spüre ich immer wieder die Zerrissenheit: Ich will mich nicht fertig machen. Ich möchte einen gesunden Bezug zu meinem Körper haben, und mit ‚gesund‘ meine ich nicht schlank oder dünn. Denn ein schlanker Körper ist nicht zwangsläufig ein gesunder Körper. Aber genau diese Überzeugung hat sich mir eingebrannt, wie so vieles, wenn es um den Körper der Frau geht. Es ist belastend, manchmal so stark, dass es mich erdrückt.

„Die Erschöpfung der Frauen“: Ein tiefgehender Einblick in die Körperscham

Das Buch „Erschöpfung der Frauen“ widmet ein ganzes Kapitel dem Thema Körperscham. Es enthüllt, wie Frauen durchschnittlich alle dreißig Sekunden ihr Aussehen überprüfen. Dies geschieht jedoch nicht aus einem liebevollen, sondern aus einem ängstlichen, strengen und oft selbstkritischen Blickwinkel. Diese ständige Selbstüberwachung ist nicht nur erschöpfend, sondern oft auch gesundheitsschädigend. Sie raubt Frauen die Energie und Zeit für andere, wichtigere Aspekte ihres Lebens.

Die Forschung zeigt, dass Frauen aller Altersgruppen und Schichten die Auswirkungen gesellschaftlicher Schönheitsnormen erleben. Es gibt zwar Unterschiede bezüglich des Alters, diese sind jedoch weniger signifikant als erwartet. In einer Gesellschaft, die Schönheit mit Jugend gleichsetzt, sind Frauen bis ins hohe Alter hinein enormen Anforderungen ausgesetzt. Über 60 Prozent der Frauen zwischen 60 und 70 Jahren und fast 80 Prozent der 54-jährigen Frauen berichten von Körperunzufriedenheit. Diese Zahlen zeigen, dass der Druck, jugendlich und schön zu erscheinen, tief in der weiblichen Psyche verankert ist.

Das Buch hebt auch hervor, dass viele Frauen den Schönheitsdruck internalisiert haben und versuchen, die Illusion der Jugend durch ständige Körperüberwachung aufrechtzuerhalten. Diese anhaltende Körperbeobachtung kann zu Körperscham und Angst vor den herrschenden Schönheitsnormen führen. In Verbindung mit diesen negativen Erfahrungen reduziert die Selbst-Objektivierung auch die Möglichkeiten für Vergnügen und Entspannung. Viele Mädchen und Frauen sind fast ununterbrochen mit ihrem Aussehen und der Frage beschäftigt, was andere von ihnen denken und wie sie bewertet werden.

Als wäre das nicht schon schlimm genug: “Gerisch zitiert eine Patientin: »Ich fühlte mich so dick, so hässlich, ich stand stundenlang vor dem Spiegel, um etwas Schönes an mir zu finden, aber es wollte mir einfach nicht gelingen; schließlich nahm ich das Messer und schlitzte mir die Arme auf.« Eine andere sagte: »Ich fühlte mich plötzlich winzig, wie ein Zwerg unter Riesen und wollte einfach verschwinden. Da nahm ich die Tabletten.« Oder kehrseitig: »Ich fühlte mich monströs wie ein Monster aus einem Computerspiel und wollte diesem Elend einfach nur ein Ende bereiten.«

Ein emotionaler Aufruf

Beim Lesen dieser Zeilen steigen mir die Tränen in die Augen. Ich bin entsetzt, fassungslos und wütend darüber, dass ich und viele andere Frauen mit dieser Bürde leben. Ich habe es satt, vollgestopft mit Idealen und Selbstabwertungen zu sein. Ich bin erschöpft von den Jahren, in denen ich mich nur mit meinem Körper und Aussehen beschäftigt habe.

Ich möchte in Würde altern, aber ich weiß nicht, wie. Auf Instagram sehe ich Frauen, die gegen das Körperideal kämpfen. Doch auch hier wird oft ein Bild von Schönheit vermittelt. Es ist verwirrend und zeigt, dass wahre Freiheit schwer zu erreichen ist.

Auf der Suche nach Gleichgewicht und Akzeptanz

Vielleicht geht es nicht darum, sich vollständig von diesen Idealen zu befreien, sondern vielmehr um Akzeptanz und Bewusstsein. Es geht darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, das Erbe unserer Mütter und Großmütter anzuerkennen und gleichzeitig unseren eigenen Weg zu gehen. Dieser Balanceakt zwischen Loslassen und Annehmen ist ein Prozess, der Geduld und Selbstliebe erfordert.

2 Gedanken zu „Der stille Kampf mit dem Spiegelbild“

  1. Wow, ich bin gerade in aller Tiefe über die Zeilen berührt. Bin „durch Zufall“ auf den Blog gestoßen. Ich habe gerade eine Ausbildung zur systemischen Beratung/ Therapie begonnen und mein Wunsch ist es, in absehbarer Zeit mein Hauptaugenmerk auf die Arbeit mit den Mütter/Frauen zu richten. Das Thema Schönheit/Schönheitsideale und die tiefsitzenden Prägungen – als Mutter bin ich immer wieder selber überrascht, wie unbewusst es IMMER da ist. Wie schnell ich dazu neige, genau dazu tiefsitzende Bewertungskommentare auszusprechen. Es ist schwierig. Diese Momente, in denen ich mir darüber dann bewusst werde sind auch die Momente, in denen ich mich dann innerlich wieder selbst dafür verurteile. Doch das kann und darf nicht der Weg sein. Eine immer währende Schleife von „Zuständigkeit“ auf den Schultern der Frauen. Also gehen wir es an mit Geduld und Selbstliebe und noch mehr Geduld 😉

    1. Liebe Bettina,

      was für ein schöner Zufall!

      Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für deinen Kommentar und vor allem deinen kurzen, persönlichen Einblick. Und manchmal ist es doch einfach erleichternd zu wissen, dass wir nicht allein sind, mit dem was uns beschäftigt und umtreibt.😉

      Dann üben wir uns beide zukünftig in Geduld und Selbstliebe.🙂

      Ich kann mich noch sehr gut an meine Ausbildung erinnern und wünsche dir viel Freude, aber auch viel Kraft auf dieser spannenden Reise.

      Ich freue mich, wenn du mal wieder durch Zufall vorbeikommst und wir voneinander lesen.

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