Ein Ausstellungsbesuch, der mich wütend gemacht hat

Letztens war ich mal wieder im Museum der bildenden Künste in Leipzig. Als ich den Ausstellungsraum betrete, erwartet mich ein Schild, was Informationen bereithält. Doch was meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist dass da „Künstler*innen“ steht. Ein Sternchen. Ein Sternchen für alle, die mitgedacht werden sollen. Ich bin erwartungsvoll und voller Vorfreude.

Doch kaum bin ich drin, lese ich Namen. Karl. Otto. Theo. Erich. Immer weiter. Und keiner davon mit Sternchen. Keine Frau. Keine Künstlerin. Keine einzige. Das Sternchen bleibt alleine stehen – als Symbol für etwas, das dann doch nicht eingelöst wird.

Erst später fällt mir auf: Das Sternchen steht ja nicht nur für cis Frauen. Es soll alle Geschlechter mitdenken, die sonst nicht sichtbar sind. Doch genau das passiert hier nicht. Neben Künstlerinnen fehlen eben auch alle anderen Geschlechter. Auch sie wurden nicht gezeigt, nicht mitgedacht, nicht sichtbar gemacht.

Es wirkt fast, als hätte man das Schild gemacht, weil man weiß, dass man das jetzt so macht. Weil es dazugehört. Aber drinnen war nichts davon zu spüren.

Ich frage mich, wie oft das so ist. Also nicht nur in dieser Ausstellung. Sondern überhaupt. Wer stellt eigentlich aus? Wer wird verlegt? Wer kommt zu Wort? Ich beginne, ein bisschen zu suchen. Zahlen, Statistiken. Und die Antworten sind ziemlich eindeutig: Nur etwa 20 Prozent der Werke in großen deutschen Museen stammen von Künstlerinnen. Und im Buchmarkt? 2021 war ein Rekordjahr: 40,3 Prozent aller Debüts kamen von Autorinnen. Zwei Jahre später sind es nur noch 37,4 Prozent. Fast wieder wie 2013.

Zurück zur Ausstellung. Skulpturen von Frauen. Frauenkörper aus verschiedenen Kontinenten. Beeindruckend, sinnlich, stark. Ich lese die Namensschilder. Jean-Baptiste Carpeaux. Ein Mann. Noch ein Mann. Wieder ein Mann. Männer stellen Frauen dar. Maler, Bildhauer, Erzähler. Und wir, wir Frauen, wachsen mit diesen Bildern auf.

Ich recherchiere das, was mir da gerade auffällt und wofür es einen Begriff gibt: „male gaze“. Ursprünglich von Laura Mulvey geprägt, beschreibt es die Art und Weise, wie Frauen in Kunst und Medien aus einer männlichen Perspektive dargestellt werden – als Objekte, die betrachtet werden, nicht als Subjekte, die gestalten. Der Blick, der über uns gelegt wird, formt nicht nur unsere Sicht auf andere, sondern auch auf uns selbst.

Mit diesen Bildern wachsen wir auf. Wir schauen in den Spiegel und messen uns an den Blicken, mit denen andere uns betrachtet haben. Lange bevor wir einen eigenen Blick entwickeln konnten. Es ist dieser Blick, der nicht nur Kunst, sondern unsere Körpergeschichte geformt hat. Wir sind geformt worden. Und oft nicht von uns selbst.

Ich bin wütend. Ich bin verärgert. Und ich fühle mich damit allein in dieser Ausstellung. Ich frage mich, wie viele Männer in dieser Ausstellung waren, die überhaupt bemerkt haben, dass keine Frau hier ausstellt. Und ich frage mich, wie viele Frauen es überhaupt wagen, solche Fragen zu stellen. Denn es fühlt sich unbequem an, die Einzige zu sein, die sie stellt.

So, als wäre es mein Problem. Und nicht das der Ausstellung.

Was bleibt? Ich nehme den Blick mit. Und das Wissen, dass ich nicht übertreibe. Dass das, was ich gesehen habe, ein Muster ist. Kein Einzelfall. Und dass es nicht reicht, ein Sternchen auf ein Schild zu drucken. Es braucht mehr. Es braucht echte Sichtbarkeit. Nicht nur Sprache, sondern Haltung. Nicht nur Repräsentation, sondern Teilhabe.

Ich wünsche mir Ausstellungen, in denen ich mich wiederfinde. Nicht nur als Körper, sondern als Künstlerin. Als Erzählerin. Als jemand mit einem eigenen Blick.

4 Gedanken zu „Ein Ausstellungsbesuch, der mich wütend gemacht hat“

  1. Hier eine Buchempfehlung zum Thema „männlicher Blick“ auf Frauen in Wissenschaft und Geschichte:
    Die Frau als Mensch – Ulli Lust
    Es ist ein sehr interessantes Buch, das durch seine Umsetzung als Comic ungewöhnlich und noch lesenswerter ist.
    ‚Die Frau als Mensch‘ vermittelt einen ganz neuen Blick auf unsere Vor- und Frühgeschichte. Und dieser Blick ist weiblich.“ – Nina Apin, taz

    1. Liebe Dorothee,

      vielen lieben Dank für die wertvolle Ergänzung von Literaturempfehlungen, in die ich auf jeden Fall einen Blick werfen werde.

  2. Hallo, ich kann den Ärger über die Ausstellung sehr gut nachvollziehen. Die Frau als Objekt und nicht als aktive Gestalterin zu zeigen und zu sehen, prägt Frauen leider nach wie vor.
    Hier dazu ein spannender Buchtipp. „Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte.“ von Ulli Lust. Ist ein Sachcomic, das kürzlich den Deutschen Sachbuchpreis gewonnen hat. Es zeigt ein neues Verständnis vom Frausein in der Menschheitsgeschichte.
    Sehr empfehlenswert. Räumt mit einigen patriarchalen Vorstellungen von der Rolle der Frau in früheren Gesellschaftsformen auf.

    1. Liebe Iris,

      es ist gut zu hören, dass dieser Ärger geteilt wird. Vielen lieben Dank für den Buchtipp, welchen auch du empfiehlst und somit auf jeden Fall auf meine Buchliste kommt.

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