Zum Podcast-Interview mit Margarete Hecker
Eine neue Podcast-Folge ist online – das Interview mit Margarete Hecker. Sie war bis 1994 Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Darmstadt, wo sie zusammen mit Verena Krähenbühl die Weiterbildung in systemischer Familienberatung aufbaute.
Im Podcast erzählt Margarete Hecker zunächst von der Flucht mit ihrer Familie von Pommern nach Wernigerode am Ende des 2. Weltkrieges und von ihrer Flucht ganz allein von Wernigerode in den Westen 4 Jahre später. Das hat ihre Arbeit geprägt. Im Laufe des Interviews betont sie immer wieder, wie wichtig es für sie ist, dass Familientherapie den Kontext und die Geschichte berücksichtigt.
Vieles von diesem Interview findet sich auch in dem Buch Systemik, die … wieder. Im Kontext dieses Buches wird deutlich, dass Margarete Hecker – wie viele Frauen in ihrer Generation – als Startpunkt für ihren Weg zur Familientherapie die Sozialarbeit hatte. Sie wurde zunächst Fürsorgerin (heute Diplom-Sozialarbeiterin), bevor sie dann studierte und promovierte. Dies ist vielleicht die Erklärung dafür, dass sich ihr Fokus von der Sozialarbeit aus auf die Familie und weiter auf die Geschichte der Familie richtete. Denn ich habe mich beim Hören, und auch beim Lesen weiterer Biografien im Buch, gefragt, wieso viele Frauen dieser Generation ihren Schwerpunkt auf die Familienrekonstruktion legten, während andere Systemiker_innen in Deutschland sich dem Konstruktivismus und der Systemtheorie zuwandten. Hecker nennt ihre eigenen sehr prägenden Fluchterfahrungen als einen Grund, und nennt als weiteren Grund ihre Beobachtung, dass Systemiker wie Minuchin durch ihre Fokussierung auf die gegenwärtigen Muster einer Familie Dinge wie Missbrauchserfahrungen und innerfamiliäre Gewalt gar nicht in den Blick bekamen. Und sie beschreibt außerdem, dass die männlichen Systemiker übersahen, wie die familiären Rollen der Frauen unhinterfragt blieben.
Ich frage mich, ob geschlechtsspezifische Aspekte auch eine Rolle dabei gespielt haben, dass ein Unterschied gemacht wurde zwischen den „richtigen Systemikern“ und den Familientherapeut_innen: „… Anfang der neunziger Jahre fand ein Prozess statt, dass die DAF und DFS1 sich auf die Reise machten, ein gemeinsamer Verband zu werden. … Eine ganze Reihe von Mitgliedern der DAF, die eine eher tiefenpsychologisch orientierte Form von Familientherapie vertraten, verließen diesen neuen Verband, sodass der sich stärker auf die systemische Arbeit fokussierte, aber immer noch sehr stark familientherapeutisch geprägt war. Auch die Institute stützten sich in ihrer großen Mehrheit theoretisch-konzeptionell auf den Satir-Ansatz und auf die Arbeit mit Kindern und Familien. Und dann gab es eine ganze Reihe Institute, die … in einen Austausch über systemische Denk- und Arbeitsmodelle treten (wollten) … Dazu gehörten Konzepte der Mailänder Schule, konstruktivistische Modelle, narrative Modelle etc. …“ 2
Glücklicherweise muss man diese verschiedenen Vorgehensweisen heute nicht mehr aus divergierenden Lagern betrachten. Ich frage mich, warum es damals nicht möglich war, sich über die unterschiedlichen Herangehensweisen konstruktiv auseinanderzusetzen, anstatt in ein „Entweder – Oder“ zu kommen. Mir scheint, die Frauen dieser Generation, so wie Margarete Hecker, gingen sehr pragmatisch vor und nahmen sich von der Systemik, was ihnen hilfreich erschien, brachten von sich aus ein, was sie für erforderlich hielten, und ließen andere Vorgehensweisen außen vor. So sagt Hecker im Interview, dass sie sich nicht mit Luhmann befasste, weil seine Schriften sie nicht erreichten und sie nicht betroffen davon war.
Eine andere Frage, die beim Hören des Interviews mit Margarete Hecker auftaucht, ist die der spärlichen Veröffentlichungen seitens der Frauen gegenüber den üppigen der Männer. Sie sieht zwei Gründe. Zum einen hatte sie selber erlebt, wie sie Dinge schrieb, die dann liegengelassen wurden, bis ein Mann dieselben Ideen auf den Büchermarkt brachte. Zum anderen fand sie es schwierig, ihr Vorgehen aufzuschreiben, weil sie sehr intuitiv arbeitete. Sie spricht vom „Sehen des Feldes“, das völlig andere Gespräche als bei männlichen Therapeuten ermöglichte, aber sich methodologisch nicht so leicht in den gängigen Methodenkanon integrieren ließ. Da gibt es heute sicherlich mehr Raum, solche Vorgehensweisen in die fachlichen Diskussionen einzubringen.
- DAF: Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (gegründet 1978), DFS: Dachverband für Familientherapie und systemisches Arbeiten (gegründet 1987) ↩︎
- Tom Hegemann in Klindworth/Kühling (Hg.): Von der Bewegung zur Organisation und wohin weiter? 25 Jahre Systemische Gesellschaft, Göttingen 2018, Seite 18 ↩︎